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Internetitis Von Matthias Bröckers

Die Ära des Personalcomputers wird vom Internet-Personalcomputer abgelöst. Auf Computermessen wie der CeBit geht deshalb die Faszination auch weniger von den Computern selbst aus, sondern von ihren Möglichkeiten der Kommunikation. Bisher war die Kiste stumm und dumm, jetzt erst, vernetzt, erwacht sie zum Leben. „Festplatte“, „Megabyte“ und „Floppy-Disk“ – die Zauberwörter, mit denen in den Achtzigern die schöne neue Computerzukunft beschworen wurde, sind vergessen, Online, Internet und WWW heißen die neuen magischen Formeln der Branche.„Wer jetzt keine Homepage hat, baut sich keine mehr“, die Torschlußpanik, mit der Medien und Werbung das Internet hochjubeln, ist grenzenlos. Und der Schwachsinn feiert fröhliche Urständ: Daß ein Gastwirt aus Duisburg „als erster die Idee“ hatte, für seine „Dorfschenke“ eine Homepage einzurichten, ist der Deutschen Presse Agentur schon einen 60-Zeilen-Bericht wert. Dabei handelt es sich natürlich um nichts anderes als um einen simplen Eintrag im elektronischen Branchenbuch und keineswegs, wie die Überschrift suggeriert, um eine „Kneipe im Internet“. Und doch kann es nicht mehr lange dauern, bis es auf schrillen Anzeigen heißt: „Besuchen Sie die tollsten Kneipen, treffen Sie die tollsten Partner, amüsieren Sie sich rund um die Uhr – online!“ Zwar ist nichts davon wahr und virtuelles Saufen genauso unmöglich wie Cybersex, doch um zahlendes Publikum auf den digitalen Rummmelplatz zu locken und es von wirklichen Kneipen, leibhaftigen Partnern und echtem Amüsement abzuhalten, scheint derzeit keine Lüge zu plump. „Lesen Sie Ihre Zeitung schon am Abend zuvor – online!“ Ja, und was soll ich am nächsten Morgen beim Frühstück machen – einen Monitor auf den Kaffeetisch stellen??? Beziehungsweise gleich vier, weil die anderen ja auch ein Stück Zeitung mitlesen wollen?

Wenn Internetitis und Onlineismus weiter so seuchenartig um sich greifen, scheint das nur noch eine Frage der Zeit. Für Menschen, die beruflich Archive nutzen – Wissenschaftler, Studenten, Journalisten –, mögen vernetzte Computer und die Möglichkeit zur Abfrage von Datenbanken sehr nützlich sein. Was aber sollen Otto und Ottilie Normalverbraucher mit diesen Giga-Halden an Information anfangen, welche wichtige, unverzichtbare Information kommt dank des „Info-Zeitalters“ jetzt in ihre Wohnstuben? Sind es essentielle Spitzeninfos wie die oben erwähnte Kneipenannonce, sind es die wunderbaren Werbebotschaften, die die E-Mail-Box noch gnadenloser zumüllen als die Wurfsendungen den Briefkasten, sind es Rembrandts „Nachtwache“ und andere digitalisierte Meisterwerke, die eine Aura des Erhabenen auf den 14-Zoll-Flimmerkasten zaubern werden, oder die Preview der Pornos, die der Video- Shop an der Ecke erst übermorgen reinkriegt? Es ist bezeichnend, daß solche Fragen im Zuge des grassierenden Datenautowahns kaum gestellt werden. Wo es einen klaren Zweck gibt, muß das Mittel (Medium) nicht hochgejubelt werden. Die hysterische Propaganda für das neue Medium entlarvt sich selbst, ihre Lautstärke tönt nur darüber hinweg, daß ein Zweck nicht existiert. Außer für die Betreiber des ganzen Zirkus: Ihnen ist das Mittel Selbstzweck genug.

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