Gab's früher Fußball?

Italiens Fußballfans schwankten am kickerfreien Sonntag zwischen Sarkasmus und Aggression  ■ Aus Rom Werner Raith

So recht hatten die kleinen Clubs, vor allem aber die Betreiber anderer Sportarten, ihre Freude am fußballfreien Sonntag nicht einmal zu verbergen gesucht: „Muß ja nicht unbedingt sein, daß alle nur dorthin starren“, ließ ein hoher Funktionär der nationalen Baseball-Liga verkünden, Der Präsident der Amateur-Fußballvereine befand gar, daß man „uns vielleicht öfter mal eine Chance geben sollte, am Sonntag im Mittelpunkt zu stehen. Und nicht nur die Großkopferten aus der Profiliga.“ Eifrige Rugby-Veranstalter und Volleyball-Präsidenten hatten allenthalben feine, „zukunftsfördernde Bestechungsgeschenke“ wie unentgeltliche Brötchen oder Getränke sowie Spielzeug für Kinder bereitgestellt, um den zu erwartenden Massenandrang zu einer anhaltenden Begeisterung für andere Sportarten umzufunktionieren.

So war der Streik der Profifußballer eigentlich ganz dazu angetan, „auch sozial etwas zu bewirken“, wie der neapolitanische Kulturdezernent Renato Nicolini (einst Erfinder des alternativen „Römischen Sommers“ mit zahlreichen Kulturveranstaltungen bei freiem Eintritt) hoffte. Pate stand bei dem schlitzohrigen Griff nach dem sonst nur für Kicker interessierbaren Tifoso eine Erfahrung vom Vorjahr. Da hatte die erste Liga aus Protest gegen die zunehmende Gewalt in und vor den Stadien für einen Spieltag ausgesetzt. Und es breitete sich eine allgemeine Orientierungslosigkeit aus. „Am Ende bin ich mit meiner Frau spazierengegangen“, klagte damals ein 50jähriger verstört im Fernsehen. Diese Situation gedachten die Anbieter anderer Sportarten diesmal rigoros zu nutzen. Und so ganz nebenbei schossen sie auch manch vergifteten Pfeil gegen das Beiwerk der ganzen Affäre ab. Im Grunde, so die Gerüchte, gehe es ja gar nicht um das, was die Profiballtreter da fordern: Sitz und Stimme im Verband, Bezahlung der Ausfallgelder für Spieler von Mannschaften, die wegen unzureichender Finanzen niedrigergestuft worden sind, ablösefreie Transfers auch innerhalb Italiens, eine Beschränkung der Zahl von Nicht-EU-Spielern auf zwei pro Verein. Und es gehe auch nicht um unbescheidene Gehaltsforderungen der Profis. Durchschnittlich verdiene jeder von denen täglich umgerechnet 8.000 Mark, behauptete Il Tempo: „Das müßte doch reichen.“ Statt dessen, so wurde gemutmaßt, sei eine politische Revolution gegen den moderaten Verbandspräsidenten Antonio Matarrese im Gange.

Rechtslastige Politiker wie der Führer der Nationalen Allianz, Gianfranco Fini, versuchen schon seit Jahren, eine mächtige Klientel bei den Sportfunktionären aufzubauen. Tatsächlich gibt es bereits Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Verbandsgeldern zugunsten von Parteikassen. Widerspenstige Organisationen, wie etwa der Reitsportverband, sollten nach dem Willen rechtsradikaler Politiker gar unter staatliche Aufsicht gestellt werden. Matarrese, ein eher grauer, aber standfester Vertreter traditioneller Fußballkunst ohne viel Neigung zu Show und Politik, steht solchen Machenschaften offenbar im Wege.

Doch die Hoffnungen der anderen Sportarten-Vertreter blieben dann doch auf der Strecke. Strömender Regen in nahezu allen Regionen verhinderte den erwarteten Massenzulauf. Lediglich einige Basketball-Partien, etwa in Rom, waren im Gegensatz zu sonst total ausverkauft. Da ließ sich dann auch demonstrativ der sonst im Fußballstadion sitzende Gianfranco Fini sehen.

Verzweifelt suchten auch die sonst am Stadionrand herumhechelnden Sportreporter nach Material und Stimmen. Meist kam nicht mehr heraus als: „Na, das wär ja noch schöner, wenn man sich nicht mal einen Sonntagnachmittag anders vertreiben könnte“, und die Erkenntnis, daß der wettlustige Bevölkerungsteil statt auf Fußballergebnisse eben auf Pferderennen gesetzt hatte. Schwieriger wurde es schon beim Hinweis, daß ja der Sonntag nur das eine sei, denn dann folge der Montag, und den widmet Italien seit jeher nicht der Politik, sondern den Kommentaren der Fußballergebnisse vom Sonntag. Jahrzehntelang waren die meisten politischen Tageszeitungen deshalb am Montag gar nicht erschienen. Das, gaben die meisten Befragten zu, sei nun doch ein ernstes Problem, vor allem im Büro und in den Bars: Worüber solle man denn wohl schwätzen?

Lebendig wurde es bei einer Umfrage in Rom erst, als ein Reporter einen zufällig am Stadion vorbeikommenden Dichter fragte, wie er denn den Sonntag ohne Fußball verbringe – und dieser antwortete: „Wieso, hat es denn bisher am Sonntag Fußball gegeben?“ Da wäre der Mann beinahe gesteinigt worden.