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„Oh, oh, Ausrufezeischen!“

■ Beim Metrobeat-Festival spielen 25 Bands um die Wette. Mit am Start: Stereo Total mit Françoise Cactus („Miao Miao“), Ornament & Verbrechen und Wuhling

Und wieder einmal ist es soweit: Berliner Nachwuchscombos laden zum Wettstreit, und alle, alle gehen hin. Auch falls nur Verwandte, Freunde, Eltern und Lehrer der 25 Bands auflaufen, Kulturbrauerei und Franz-Club werden wieder einmal zum Bersten voll sein, wenn es zum vierten Mal in Folge darum geht, der Stadt ihren eigenen Rhythmus einzuhämmern.

Metrobeat, das Nachfolgefestival des legendären „Senats-Rockwettbewerbs“, bei dem als Hauptpreis immer eine Plattenproduktion winkte, geht an diesem Wochenende mit 15 „Total Beliebten Bands“ und zehn „Geheimtips“ an den Start.

Es gehörte immer schon zu den merkwürdigen, aber auch angenehmen Angewohnheiten dieser Stadt, Außerirdische (Süddeutsche u.ä.) jeglicher Art möglichst sanft und ohne großes Blutvergießen zu integrieren. So gelang es den CDU-Regierungen der achtziger Jahre, mit militanten Hausbesetzern Verträge abzuschließen (wenn man sie nicht vorher geräumt hatte) und so etwas wie einen „Rockwettbewerb“ auszuloben.

Während sich in Hamburg die SPD mit der Hafenstraße rumärgerte, spielte man hier Punk, indirekt unterstützt von Innensenator Lummer. Wenn Rock überhaupt je subversiv war, mit dem Senats- Rock schlich sich eine gesunde Portion Schizophrenie in diese Idee. Der Sieg der Sozialpädagogen über den Zorn junger Mädchen und Jungs war eingeläutet, da half all das Rumgetobe auf der Bühne nicht.

Alles Schnee von gestern. Heute hat man in besetzten Häusern mehr Angst vor einem Stromausfall, der einem das Internetsegeln verhageln würde, als vor den Bullen. Wahrscheinlich gibt's sogar längst Bullen-Bands...

Das Schönste am Rockwettbewerb aber waren die Berichte über die Klausurtagungen in westdeutschen Wäldern, in denen die hiesige Kritiker-Elite (Wiglaf Droste für die taz) Kassetten durchhörte, um Bands auszuwählen. Ein niederschmetterndes Verfahren.

Heute schreibt man Musikjournalisten, Plattenläden und Veranstalter an, und die nennen dann ihre Favoriten. Eine meiner Lieblingsbands ist natürlich Stereo Total. Sängerin Françoise Cactus, seit vielen Jahren bei der taz als Layouterin tätig, hat endlich vertont, was einem im Kopf rumschwirrt, wenn man täglich Buchstaben, Satzzeichen und Fotos als Puzzle vor sich sieht, als zu ordnende Materie, nicht als sinnstiftender Inhalt: Eine Schreibmaschine ersetzt das Schlagzeug, eine Hawaiigitarre schreit nach dem Himmel: „Oh, oh, Ausrufezeischen, es wäre so schön, Ausruf, Ausrufezeischen, sich in deinen Armen, Gänsefüßschen, Punkt Punkt.

Großartig auch der Song „Miao Miao“ über die wilde Katze, die nachts auf einem fremden Dach rummiaut und am nächsten Tag doch wieder um Milch bettelt. Im totalen Stereosound rumpelt und kracht es, eine der wohl seltenen Metrobeat-Bands, die personell und inhaltlich eine Verbindung zu den Achtzigern herstellen. Françoise ist schon als Lolita in rotgelackten Plateausohlenstiefeln rumgestakt, als die Mauer noch fest zu ihrer historischen Aufgabe stand. Stereo Total spielt am Samstag um 21 Uhr im Franz-Club.

Wer nicht gern zwischen den drei Metrobeat-Konzertarenen hin und her rennt, der kommt am Samstag im Franz auch so zurecht. Denn nach Stereo Total spielen O & V. Das ist keine Rolltreppenfirma, das meint: Ornament und Verbrechen. Und das wiederum kann alles, fast alles bedeuten. Koreanische Galgenlieder in einem Produktionsverhältnis auf offener Gruppenbasis. Alles klar?

Wer dann immer noch nicht durchatmen muß, sieht meine derzeitige Berliner Oberlieblingsband (so viele kenn' ich ja auch nicht...) Wuhling. Im Gepäck haben Wuhling eine ganz frisch mit Steve Albini in den USA aufgenommene Platte. Das Trio besteht vor allem aus der Sängerin und Gitarristin Anne Rolfs. Diese noch recht junge Frau aus Rostock hat eine solche Ausstrahlung (klingt doof, ich weiß) und eine so verdammt coole Art, ihre Gitarre zu behandeln, daß ich bei ihrem Auftritt im Januar im Roten Salon immer nur dachte: wie macht die das?

In Kombination mit ihrem mädchenhaften, um nicht zu sagen elfenhaften Gesang, dem Schlagzeug Frank Neumeiers und dem Bassgezupfe von Heike Rädecker (18th Dye) entsteht genau das, was Wuhling meint: das Aufwühlen des Wassers durch eine Schiffsschraube. Andreas Becker

Metrobeat-Festival. Heute und morgen, jeweils ab 19 Uhr im Kesselhaus und in der Kantine der Kulturbrauerei, Knaackstraße 97 sowie im Franz-Club, Schönhauser Allee 36, Prenzlauer Berg.

Genaues Programm bitte erfragen unter Telefon 2316575 oder 4494245. Eintritt: 15 Mark pro Abend für alle drei Bühnen.

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