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Brauchen Sie wirklich die kleine Morgentoilette?

■ Auf dem Weg in die Sozialhilfe: Die Pflegeleistungen werden schon jetzt teurer

Am 1. April wird das Pflegegesetz ein Jahr alt – schon jetzt ist klar, daß exakt dann in Bremen die Kosten für die Leistungen der ambulanten Pflegedienste um acht Prozent steigen werden. Wer also bislang seinen Leistungsanspruch voll ausgeschöpft hat, muß künftig auf Leistungen verzichten; falls das nicht gehen sollte, sie aus eigener Tasche bezahlen. Und wenn auch dies nicht möglich ist, „dann werden die PatientInnen wieder sozialhilfebedürftig.“ Dieter Wienstroer, der zuständige Referent der Sozialbehörde, sieht da ein größeres Problem auf Bremen zukommen: „Diese Einigung gilt zunächst bis 1. Juli '97. Eine weitere Preissteigerung wird jedoch nicht aufzuhalten sein, und diese Sprünge können wir dann nicht mehr auffangen.“

Letzte Woche trat die Bremer „Arbeitsgruppe“ für die Durchführung der Pflegeversicherung – bestehend aus den Pflegekassen, dem Sozialressort und den Trägern der Pflegedienste – an die Presse. Man gab bekannt, daß man die Umsetzung der Stufe eins der Pflegeversicherung zum Abschluß gebracht habe, sprach von „qualitativer Sicherung“ und einer „Erfolgsbilanz“. Doch diese Bilanz liest sich nur vordergründig als erfolgreich.

„Wir haben uns mehr oder weniger einvernehmlich geeinigt“, sagte dazu Hans Taake, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände in Bremen (LAG), als Vertreter der ambulanten Pflegedienste. Neun Monate lang wurde das komplizierte Preis-Leistungs-System der ambulanten Pflege getestet – nun ist man einvernehmlich teurer geworden.

Dazu ein Rechenbeispiel: die „Kleine Morgen- bzw. Abendtoilette“ mit „An- und Auskleiden, Teilwaschen, Mund- und Zahnpflege und Kämmen“ kostet jetzt 13 Mark 80 statt bisher 12 Mark 80. Mit den zusätzlichen Einnahmen sollen, laut Taake, die Pflegekräfte vernünftig bezahlt werden. Anfang des Jahres hatten die Pflegekassen den Pflegekräften noch einen Dumping-Stundenlohn von 38 Mark 50 angeboten. Das hatte damals der Paritätische Wohlfahrtsverband als einziger Pflegedienst strikt abgelehnt. Inzwischen spricht die LAG von 43 bis 47 Mark Stundenlohn.

„Wir wollen weg von den 590 Mark-Aushilfskräften“, so Hans Taake. Zwanzig Prozent Geringverdiener läßt das Pflegegesetz zu; wie das Verhältnis von examiniertem und Hilfspflegepersonal zur Zeit in Bremen ist, konnte Taake nicht aufschlüsseln. „Wir streben jedoch Qualifizierungsmaßnahmen an.“

Klar ist also nun, daß anfangs zu niedrig berechnet wurde. Klar ist außerdem, daß die PatientInnen diese Fehlrechnung zu bezahlen haben. Und darüber, daß es für die pflegebedürftigen Menschen immer unwürdiger wird, den Preis-Leistungs-Streit auszuhalten und ihren Gang zur Toilette in Minuten umgerechnet zu sehen, und sich womöglich noch dafür rechtfertigen zu müssen – darüber möchten die Verantwortlichen am liebsten schweigen. Jetzt sind viele wieder kurz davor, sich ans Sozialamt wenden zu müssen. MitarbeiterInnen der Sozialbehörde prüfen dann noch einmal die Notwendigkeit bestimmter Pflegeleistungen.

„Wer je meinte, mit der Pflegeversicherung muß niemand mehr auf soziale Hilfe zurückgreifen, der irrt“, sprach Hans Taake von der LAG dazu noch einmal deutliche Worte. „Die Pflegeversicherung ist für den Sozialhilfeabbau nicht geeignet, sie ist keine Vollkaskoversicherung.“ Das Gesetz decke nur die Grundversorgung ab, es müsse endlich als Zuschuß zur Pflege verstanden werden. Genau so sei es politisch gewollt. Das habe nur noch niemand begriffen. sip

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