: Fahrradkarriere
Urlaubsradler gelten als Aktivbolzen und Genußmenschen. Sie brauchen mehr Radwegenetze ■ Von Günter Ermlich
Vom Arme-Schlucker-Verkehrsmittel zum Symbol für ein bestimmtes Lebensgefühl und ecological correctness: Das Rad hat Karriere gemacht. Inzwischen benutzten es drei Prozent als Hauptreisemittel im Urlaub. Damit liegt das Rad vor dem Wohnmobil und der Schiffsreise. Das berichtete Frank Hofmann, beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) für Radtourismus zuständig, während einer Podiumsdiskussion auf der Internationalen Tourismusbörse zum Thema „Fördern statt fordern: Trend zum Urlaub per Rad verschlafen?“ Die Radelspannbreite ist groß: sie reicht vom Brötchenholen des morgens bis zum tagelangen Nurradfahren. „Der Beigeschmack des Verzichts“ (Hofmann) ist weg. Urlaubsradler gelten heute als positiv besetzte Aktivbolzen und Genußmenschen.
Dem Trend gemäß satteln immer mehr Kommunen und Regionen um und erstellen Radwege. Inzwischen gibt es 170 kreisübergreifende Radfernwege in Deutschland. Vorzeigeobjekt und „Prototyp“ ist der grenzüberschreitende Donauradweg. Pro Jahr trampeln 120.000 und 150.000 Pedaleure von Passau bis Wien. Kein Wunder, daß sich weit über 100 kleine Reiseveranstalter auf exklusiv Radreisen spezialisiert haben.
Bei Information und Vermarktung von Radreisen fährt Deutschland aber noch weit hinterher. Es gibt keine zusammenfassende Radreisen-Broschüre. Dagegen haben Österreich und Dänemark bereits extra Kataloge erstellt, in denen Pauschalangebote, Tips und Infos, Radrouten und Radhotels landesweit zusammengefaßt sind. „Sehr diffus und defizitär“ sei die Forschungslage beim Marktsegment „Fahrradtourismus“, diagnostizierte Professor Albrecht Steinecke vom Europäischen Tourismusinstitut in Trier. Er forderte ein nationales Forschungskonzept im Sinne einer Grundlagenforschung.
Und was tut der Deutsche Fremdenverkehrsverband (DFV) für die Förderung des Radtourismus? „Leider viel zuwenig“, gab Henning Laschke selbstkritisch zu. Im Verkehrsausschuß des DFV, dessen verkehrspolitisches Positionspapier von der Kombination Schiene und öffentlicher Personennahverkehr geprägt sei, säßen nur „absolute Schienenküsser“. In Zukunft seien aber „mehr Pedalküsser“ gefragt. Von der Bahn forderte er „mehr abgestimmte Aktionen“ und nicht solch einen „Schnellschuß“ wie die Aktion „Bahn & Bike“. Hier hätte sich der große Konzern Deutsche Bahn mit Organisationen wie dem DFV und dem ADFC kurzschließen müssen, kritisierte DFV-Vertreter Laschke. Laschke traf sich mit dem ADFC in der Forderung nach einem bundesweiten Radfernwegenetz. Politische Unterstützung erhielten sie hierbei durch die Bündnisgrüne Halo („Urlaub der kurzen Wege“) Saibold, die einen Radwegeverkehrsplan und ein europaweites Radwegenetz ins Rollen bringen will.
Manfred A. Kloss vom Radreiseveranstalter velotours hat eine naheliegendere Vision: Ein durchgängig befahrbarer und beschilderter „Rheinradweg“. Fahrradökonomisch könnte ein Radweg entlang des Rheins durchaus ein ähnlicher Renner für Gastronomie und Hotellerie werden wie der Donauradweg.
Trotz aller Fortschritte, das Rad als umwelt- und sozialverträgliche Form im Reisemarkt zu positionieren: Noch gibt es Konfliktfelder, zum Beispiel das zwischen Fahrradtourismus und Naturschutz. Was ist mit den radelnden Umweltrowdys, die die spazierende Oma wegklingeln oder auf ihrem Mountainbike querfeldein die Graswurzeln malträtieren? Stimmt die Gleichung Radtourismus = ökologischer Tourismus? Für ADFC-Lobbyist Frank Hofmann ist das allerdings kein ökologisches, sondern ein soziales Problem: Wie können die Wanderwege zwischen Wanderern und Radwanderern aufgeteilt werden? Restriktive Maßnahmen wie in Thüringen, wo das Radfahren auf (weniger als zwei Meter breiten) Waldwegen neuerdings verboten ist, sind für ihn keine Lösung. Zumal gleichzeitig die Autobahn im Thüringer Wald vierspurig ausgebaut wird. Alles ist ein Problem der Bewußtseinsbildung: „Radfahren beginnt im Kopf“ (Hofmann).
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