: Die Haute Cuisine der Musik
■ Zwei Konzerte am Wochenende – zwei verschiedene Welten
Gäbe es einen Guide Michelin für Orchester, das Cleveland Orchestra unter Chefkoch Christoph von Dohnanyi müßte fünf Sterne haben.
Gott sei Dank gibt es sowas nicht. Aber diese Fähigkeit von schätzungsweise knapp hundert Menschen gibt es, gemeinsam zu atmen in Musik, auch dieses unendlich ausbalancierte, hochseltene Mezzoforte. Feinste Klangkultur also? Nicht als Selbstzweck, nicht perfekt und langweilig; mehr beiläufig, als Zutat von Musizierlust.
So wurde aus Clusterflächen in Ligetis Athmosphères am Freitag abend kompakter Sphärenklang, der sich zuspitzte in höchsten Piccoloflöten und aufging im zarten Farbvolumen des Riesenorchesters.
Nach Schluß des Stücks dirigierte Dohnanyi in die Stille hinein weiter, attacca schloß sich die Lohengrin-Ouvertüre an: Wagner als Fortsetzung Ligetis mit gar nicht so anderen Mitteln: ätherisch verfeinerte Streicherklänge, Orchestermagie. Die Streicher aus Ohio können so etwas. In Schumanns Sinfonie Nr. 1 op. 38 Der Frühling (magisch programmiert) konnten auch Hörner und Mittelstimmen. In den zwei Trios des Scherzo tobte gar gute Laune, diszipliniert, versteht sich – denn dieses Orchester kann gewiß noch diszipliniert schluchzen.
Alle Register großer Ensemblekunst schließlich in Strawinskys Feuervogel-Ballettmusik. Die Vogel-Chromatik mit impressionistischen Klangwirbelwinden auf und ab durchs Orchester ist von Tausenden Trickfilm-Soundtracks zwar längst verhunzt. Die furiosen Taktwechsel und wildrhythmischen Schichtungen der Prinz-Iwan- Sphäre aber rissen hin mit in einer Gediegenheit, wie man sie in Hamburg mit Glück alle paar Jahre zu hören bekommt. Drei Zugaben zu einem Orchesterfest.
Da mußte Herr Sawallisch am Sonntag morgen bescheidener sein. Die Philharmoniker hatten wohl einen guten Tag, und der Weltstar aus Philadelphia ließ laut und deutlich intonieren. Gemessen an der Cleveländer Haute Cuisine bieten die Hamburger allerdings Hausmannskost, fein abgeschmeckt zwar, aber unaufregend. Das Ereignis war Sarah Chang.
Wie die etwas pummelig geratene Ostasien-Pressung einer Barbiepuppe wirkte sie im lila Polyacrylkleid. Ihr Spiel faszinierte. Man nimmt einer 14jährigen Tiefgang indes nur unter der Voraussetzung eines Rätsels ab, das Sarah nicht umgibt. Der Ruch megaguter Lernergebnisse statt dessen, an Genie grenzende Beflissenheit und ein Konzertergebnis von stupend echter, brillanter Wirkung. Dafür ist Tschaikowskys Violinkonzert in der Tat wie geschaffen.
Nach der Pause folgte mit Beethovens Siebter ein weiteres Standardwerk aus der Allerweltskonzertkiste der Einfallslosigkeit. Da machte niemand etwas falsch. Was wollte man also mehr? Etliches.
Stefan Siegert
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