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Hoffnung auf ein neues deutsches Judentum

■ Neue Studie: Probleme jüdischer Auswanderer aus der ehemaligen Sowjetunion

Juden in Deutschland – kein historisches Thema mehr. Seit 1990 kommen Juden und Jüdinnen aus der ehemaligen Sowjetunion ins Land. Als sogenannte „Kontingentflüchtlinge“ haben knapp 100.000 eine Aufnahmezusage, 40.000 davon sind schon hier, aber sie werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Mit dem neuen Buch von Julius Schoeps, Direktor des Moses- Mendelssohn-Zentrums in Potsdam, Willi Jasper, Kulturwissenschaftler, und Bernhard Vogt, Sozialwissenschaftler aus Duisburg, soll dies, so hoffen die Autoren, anders werden. Um die Öffentlichkeit für die Probleme der NeuzuwandrerInnen zu sensibilisieren und ihnen die Integration zu erleichtern, erarbeiteten sie eine Studie über die Lebensbedingungen, Erfahrungen und Wünsche dieser ungewöhnlichen Gruppe von EmigrantInnen.

Die Autoren sind parteilich, wie sie offen zugeben. Sie schwärmen von der jüdischen intellektuellen Kultur im Weimar der zwanziger Jahre, auf deren erneutes Erblühen sie hoffen. Schoeps: „Mit der Studie wird deutlich, daß wir in Zukunft wieder neues jüdisches Leben entstehen sehen werden.“ Und Jaspers: „Ich wünsche mir eine Ausstrahlung auf das kleinbürgerliche intellektuelle Klima in der Bundesrepublik.“

Optimistisch und parteilich in diesem Sinne befragten die Wissenschaftler 413 EinwandrerInnen aus 36 Städten in der Bundesrepublik in der Zeit von August 1993 bis April 1994 nach ihrer Ausreisemotivation, warum gerade nach Deutschland, der Wohn- und Arbeitssituation hier und natürlich nach ihren Konflikten mit den örtlichen jüdischen Gemeinden.

Die Ergebnisse zeigen, daß fast alle EmigrantInnen mit unrealistisch positiven Erwartungen gekommen sind: Sie sind der Sprache nicht mächtig, die meisten finden keine, geschweige denn eine ihrer Qalifikation entsprechende Beschäftigung. Und auch nach fünf Jahren leben sie hier isoliert, mit einer durch Mölln und Solingen neu entstandenen Angst vor Rassismus und Antisemitismus. Diese Probleme haben auch andere EmigrantInnen in der Bundesrepublik. Aber eine besondere Konfliktsituation stellen Schoeps, Jasper und Vogt heraus. Der größte Teil der EinwandrerInnen gehörte in der Sowjetunion der Intelligenzija an, hatte einen akademischen Beruf erlernt und die Kinder in erstklassige Schulen geschickt.

„Sie haben einen solch hohen Bildungsstand, daß sie nicht vermittelbar sind“, schildert Schoeps die Situation, „es ist für sie eine schmerzliche Erkenntnis, daß sie an ihren mangelnden Sprachkenntnissen scheitern.“

Auch mit der religiösen und kulturellen Integration gibt es Schwierigkeiten. In der Sowjetunion gab es kaum noch funktionierende Gemeinden. Die religiösen Grundsätze und Bräuche sind den NeueinwandrerInnen fremd. Dennoch streben viele, hier angekommen – laut Studie sind es zwei Drittel –, in die Gemeinden, um „ihre verschütteten Wurzeln zu entdecken, sich dem Judentum zuzuwenden“. Die Gemeinden platzen inzwischen aus allen Nähten, einige haben ihre Mitgliederzahl verzehnfacht, die Gottesdienste in Synagogen verzeichnen BesucherInnenrekorde, und die religiösen Konflikte nehmen zu. Denn viele entwickeln eine orthodoxe Religionsauffassung, die mit den liberalen Prinzipien der alteingesessenen Gemeindemitglieder kollidiert.

Die Frage danach, ob die Hinwendung der neuen Gemeindemitglieder zur Religion nicht vielleicht mehr der Sehnsucht nach Gemeinschaft und Hilfestellung entspringt als einem religiösen Motiv, vernachlässigen die Wissenschaftler. Die leider staubtrocken geratene Studie arbeitet zwar mit soziologischen Methoden, ist aber als Appell an die jüdischen Gemeinden gemeint. Diese sollen die Integration vorantreiben. Deshalb erfüllen die Autoren auch ihren wissenschaftlichen Anspruch nicht wirklich: 413 Befragte sind zu wenige, und wegen ihrer Vermittlung durch die Gemeinden sind sie zu unrepräsentativ ausgewählt, als daß sich statistisch verläßliche Aussagen machen ließen.

Man nimmt die Ergebnisse besser als das, was sie sind: eine erste Studie über die Situation von russischen, ukrainischen und baltischen Juden und Jüdinnen hierzulande, als kleine Vorausschau auf das, was eine neue jüdische Kultur in der Bundesrepublik vielleicht sein könnte. Spannend genug ist dies allemal. Barbara Junge

Julius Schoeps, Willi Jasper, Bernhard Vogt (Hrsg.): „Russische Juden in Deutschland. Integration und Selbstbehauptung in einem fremden Land.“ Beltz Athenäum, Weinheim 1996, 368 S., 48 DM

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