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Das Schweigen vom Rechtsstaat

■ Die Liberalen wollen dem Koalitionspartner Beine machen - ohne ihn zu verschrecken. Gerhardt will nicht nur als Steuersenker Stimmen gewonnen haben

Drinnen herrschte eitel Freude, draußen war der blau-gelbe Optimismus schon auf einen neuen Slogan in den Parteifarben gebracht: „24. März. Der Frühling hat begonnen“, hatte die Bonner FDP- Führung über Nacht nahe dem Thomas-Dehler-Haus plakatieren lassen. Vor der Presse formulierte Parteichef Wolfgang Gerhardt dann auch prompt den Anspruch der Liberalen, künftig wieder die Rolle der drittstärksten Kraft in der Bundespolitik zu übernehmen. Den Überschwang des Sieges aber bremste er dann auch vorsichsthalber wieder – mit Rücksicht auf das Koalitionsklima: „Wir werden jetzt nicht übermütig und bleiben auf dem Teppich.“

Kanzler Helmut Kohl durfte gestern zwar die Stärkung der von ihm geführten Koalition feiern – mit dem kleinen Partner stehen ihm nun härtere Auseinandersetzungen über die Sanierung des Haushalts bevor. Denn anders als Gerhardt in der Pressekonferenz geißeln FDP-nahe Medien inzwischen gerne die ausgeprägte Harmoniesucht des CDU-Chefs als Hindernis bei Schnitten ins Sozialsystem. Die erste Nagelprobe steht der FDP schon heute bevor: Im Kanzleramt verhandelt die Koalitionsrunde von Liberalen und Union über die gemeinsame Steuerpolitik.

Die Profilierung der FDP als Steuersenkungspartei verpflichtet die Unterhändler. Auch gestern legte sich Parteichef Wolfgang Gerhardt wieder fest – gegen jede Mehrwertsteuererhöhung. Über eine „Tempoverschärfung“ beim Umbau des Steuersystems wollten die FDP-Unterhändler mit dem Koalitionspartner sprechen, kündigte der liberale Parteichef an. Über Steuersenkungen, den „Umbau des Sozialstaates“ und Einsparungen im Bundeshaushalt solle die Koalition bald entscheiden.

Im Haushalt steckt noch genügend Sparpotential

Finanzierungsmöglichkeiten für die fehlenden Milliarden will der FDP-Chef schon ausgemacht haben: „Auch in diesem Haushalt steckt noch genügend Sparpotential.“ Haushaltsexperten bezweifeln indes, daß die Senkung des Solidarzuschlags, weitere Steuersenkungen und eine Haushaltssanierung gleichzeit zu stemmen sind.

Die Liberalen in Bonn dürfen auch deshalb erleichtert aufatmen, weil ihnen das Gespenst der großen Koalition nun nicht mehr droht. Auch in der Mehrwertsteuerfrage, so freute sich Gerhardt, müsse seine Partei keine gemeinsame Front von Länderkammer und Union mehr fürchten, nachdem Oskar Lafontaine einem solchen Schritt eine Absage erteilt habe: „Wenn er uns damit nicht behelligt, ist das Thema weitgehend erledigt.“ Daß die Landesverbände Erfolge von Gnaden der CDU-Wähler feierten, wollten die FDP-Spitzenpolitiker gestern nicht wahrhaben. Baden-Württembergs Parteichef Walter Döring nannte die Diskussion über Leihstimmen „abwegig“. Wenig später erinnerte CDU-Chef Kohl den Bündnispartner indirekt an die vielen geliehenen Stimmen: Die Liberalen wüßten, daß sie als Teil der Koalition gut abgeschnitten hätten.

Die Zurückdrängung des linksliberalen Parteiflügels und der Verzicht auf rechtsstaatsliberale Forderungen in der Koalition scheint sich gelohnt zu haben. „Breitbandliberalismus“ heißt die politische Kultur der FDP, vor der Konzentration auf Steuer- und Wirtschaftsthemen, in der Partei nun abschätzig – das Wort wird Fraktionschef Hermann Otto Solms zugeschrieben. Während anonyme Gegner des Freiburger Kreises aus der Partei dessen Niedergang mit Häme kommentierten, wollten Vertreter des Rechtsstaatsliberalismus aus dem Freiburger Kreis ihr Scheitern gestern nicht eingestehen und buchten die Wahlergebnisse vom Sonntag auch als eigenen Erfolg.

Parteichef Gerhardt bestritt gestern, daß es überhaupt eine Verengung der FDP-Themenpalette gegeben habe: „Die FDP ist keine eindimensionale Partei.“ Aber in der Aufzählung der Themen, über die seine über Nacht gestärkte Fraktion in den nächsten Wochen mit dem großen Koalitionspartner verhandeln will, fand sich kein einziges aus dem klassischen Bereich des Rechtsstaatliberalismus.

Allein die Jungen Liberalen forderten gestern trotzig, „die auf Halde liegenden Projekte Ladenschluß und Staatsangehörigkeitsrecht“ anzugehen und Lösungen zu präsentieren. Eine „dauerhafte Verengung“ der FDP auf wenige Themen dürfe es nicht geben, wenn aus „Funktions- und Stimmungswählern“ künftige Stammwähler werden sollten.

Nach den guten Erfahrungen mit den Polarisierungswahlkämpfen gegen Rot-Grün wollen die Liberalen die Grünen dauerhaft übertreffen. „Es gibt kein Gesetz, wonach die Grünen stärker bleiben müssen“, verkündete Gerhardt. Auch der Bundesvorstand diskutierte ausführlich über das Verhältnis zum Gegner. Tendenz: Bündnis90/Die Grünen hätten ihren Zenit bereits überschritten. Sie zeigten vor allem dann Schwächen, wenn sie an einer Regierung beteiligt seien. Generalsekretär Guido Westerwelle forderte, die Liberalen dürften das mühsam erkämpfte „Copyright“ auf das Thema Steuersenkung nicht aufgeben. Schließlich kopierten mittlerweile auch die Grünen die Liberalen. Hans Monath, Bonn

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