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Erna Conrad ist ihr Geld schnuppe

Private Helfer, geschäftstüchtige Rechtsanwälte und Behörden konkurrieren um das Vermögen einer reichen Rentnerin. Sie kämpft gegen die unerbetene Fürsorge und fühlt sich entmündigt  ■ Von Constanze von Bullion

„Das ist mir schnuppe.“ Wieder und wieder hat sie diesen Satz zu Protokoll gegeben. Amtsärzten und Richtern, Rechtsanwälten und Nachbarn, dann auch noch den Zeitungen. Aus ihrem Leben ließ man sie berichten, übers Sparbuch Auskunft geben, manchmal vor Zeugen Bargeld zählen. Sie hat gezählt. Auskunft gegeben. Berichtet. Geholfen hat ihr das alles nichts.

„Kritikunfähigkeit“ und „leichter gehirnorganischer Altersabbau“ wurden ihr statt dessen von Behörden und Gutachtern diagnostiziert. Erna Conrad, gepflegt, eine Dame mit elegant kirschfarbenem Lippenstift, nippt ärgerlich an ihrem Perlwein. Es sei ihr schnuppe, daß das Millionenerbe beim Teufel sei, schnaubt sie über die Restauranttische.

Erna Conrad ist 84 Jahre alt. Die Geschäftsfähigkeit hat man ihr aberkannt. Sie ist nur einer der insgesamt rund 30.000 Betreuungsfälle in Berlin. Früher hieß es schlicht und deutlicher Entmündigung. Wer widerspenstig war oder behindert, wer von Psychosen gejagt wurde oder sich um den Verstand soff, der konnte per Federstrich von den Behörden aus dem Verkehr gezogen werden. Auch gegen ihren Willen wurde wunderlichen Außenseitern ein Vormund verpaßt. Sie durften weder wählen noch ein Testament machen, oft nicht einmal heiraten oder einkaufen gehen, waren nicht mehr geschäftsfähig. In den Schreibstuben der alten Bundesrepublik verwaltete man zur Zeit der Wende etwa 250.000 solcher Fälle – meist ebenso unbeachtet wie unkontrolliert.

Heute sollte das eigentlich alles ganz anders sein. Das alte Vormundschaftsgesetz wurde 1992 durch das Betreuungsrecht ersetzt. Damit wollten die Gesetzgeber „die Eigenverantwortung der Betreuten im größtmöglichen Umfang wahren und ihre Rechtsstellung verbessern“.

Muß die Wohnung kranker oder verwirrter Menschen dennoch aufgelöst, müssen Arztbesuche organisiert und Medikamente verordnet oder Geld vom Konto abgehoben werden, dann regeln das BetreuerInnen. Die sollen möglichst von den Betroffenen selbst bestimmt werden, solange diese noch klar im Kopf, bei Verstand sind, ehe also der Ernstfall eintritt. Anders als bei der alten Vormundschaftsregelung übernehmen sie die Rechtsgeschäfte nur befristet auf Zeit, werden vom Gericht kontrolliert und arbeiten ehrenamtlich.

Erna Conrads Betreuer heißt Dieter Lang. Er nennt sie „Ernie“. Weil sie Freunde sind. Oder nicht? Vor 15 Jahren hat sie ihn bei einem Autokauf kennengelernt. Damals wohnte sie noch im vornehmen Berliner Westend, ein paar Minuten vom Grunewald entfernt. Das Haus mit 800 Quadratmetern Grundstück hatte ihr Mann ihr hinterlassen, ein zweites Areal verkaufte sie schon vor Jahren.

Die reiche Witwe hat 44 Jahre Arbeitsleben hinter sich. Sie arbeitete als Verkäuferin bei Woolworth und im KaDeWe. „Wir waren schicke Frauen“, erzählt die gebürtige Berlinerin, die auch heute noch am liebsten an ihrer Garderobe „rumpusselt“.

Zum Rendezvouz mit Dieter Lang trägt sie ein perlgraues Kostüm aus feinstem Stöffchen, an den frisch manikürten Händen große Goldringe. Die schlohweißen Haare verdeckt ein Flanellhut, Modell englisches Königshaus.

„Der nächste fliegt raus“, teilt Erna Conrad lautstark dem ganzen Restaurant mit. Was ihr Gehör nicht mehr schafft, müssen die Stimmbänder ausgleichen. Rausfliegen soll der nächste Gutachter, der an ihre Tür klopft. Denn etwas anderes als seine Vorgänger wird er auch nicht vorfinden: eine kerngesunde alte Dame, die mit ihrem Haushalt bestens zurechtkommt. Keine Klagen der Nachbarn, keine unbezahlten Rechnungen, weder Verwirrung noch Chaos.

Erna Conrad hat keine Kinder. Dafür gibt es jetzt Dieter. Dieter Lang geht mit ihr essen in die schicksten Lokale, begleitet sie zum Arzt oder zum Einkaufen. Am Ku'damm macht sie mit ihm gern mal kleine Fischzüge durch die neuesten Modekollektionen. Ein bißchen Schmuck für 500 Mark, ein Pelzmäntelchen für 5.000. Erna Conrad weiß sich gut zu amüsieren. Doch das soll eben nicht mehr sein.

Die fröhlichen Kauforgien der Rentnerin riefen die Gesetzeshüter auf den Plan. Die Frau muß vor sich selbst geschützt werden, meinte das Amtsgericht Berlin Charlottenburg. Und geschützt werden müsse sie auch vor ihrem Freund Dieter Lang. Denn der hat ihr Vermögen in den Sand gesetzt. Erna Conrad ist eine nette Person, und Dieter Lang war auch immer nett. So nett, daß sie ihm 1985 gegen ein lebenslängliches Wohnrecht für sich ihr Haus überschrieb.

Der Exsozialarbeiter nahm eine Hypothek auf, eröffnete einen Lederladen – und ging prompt pleite. Verschludert hatte er es „aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen“ auch, das Wohnrecht für Erna Conrad in das Grundbuch eintragen zu lassen. Ihr Haus wurde zwangsversteigert, die alte Dame mußte in ein Seniorenwohnhaus umziehen. Ihr Vermögen ist inzwischen auf 130.000 Mark zusammengeschrumpft.

„Alles Schnee von gestern“, meint Erna Conrad ungerührt. Jetzt brauche sie wenigstens keine Kohlen mehr für die Heizung zu schleppen. Terrorisiert fühlt sie sich erst, seit sie vor ein paar Jahren überfallen wurde. Damals hatte sie von ihrem Freund Dieter gar nichts mehr gehört. Ein Nachbar kümmerte sich um sie. Der war auch nett. Und bediente sich auch. 180.000 Mark hob er mal eben von ihrem Konto ab. Die Behörden erklärten Erna Conrad vorübergehend für geschäftsunfähig.

Das Gericht befand Dieter Lang inzwischen für schuldig, Erna Conrad das Haus abgeschwatzt und sich ihr Geld erschlichen zu haben. Zurückzahlen kann der Frührentner es, wenn überhaupt, sowieso nicht so bald. Aber das ist Frau Conrad auch schnuppe. Längst geht sie wieder mit ihm aus, finanziert sein Auto und lädt ihn zum Essen ein. Als sie ihm auch noch eine Generalvollmacht für ihr Vermögen erteilte, sahen die Behörden rot.

Unangemeldet erschienen wildfremde Gutachter vom Bezirksamt bei der alten Dame, stöberten in ihren Schränken, fragten nach den Preisen ihrer Schuhe und nach der Hausnummer ihres Arztes. Das „Urteilsvermögen“ von Frau Conrad, so befanden sie schließlich, sei „beeinträchtigt“. Unsicherheit zeige sie auch in der „Wahrnehmung von Gefühlssituationen“. Viel mehr ließ sich beim besten Willen nicht feststellen. Doch um ihr den Zugriff auf das eigene Konto zu verwehren, reichte das aus. Erna Conrad wurde zum zweiten Mal für geschäftsunfähig erklärt. Diesmal wohl für immer.

Keinem gesunden Menschen kann man verbieten, sein Geld zu verschenken, Millionen am Spieltisch zu verlieren oder im Kaufrausch zu verschleudern. Bei den Alten sieht das ganz anders aus. Die Rentenkassen sind leer, im Jahr 2000 wird jeder vierte Bundesbürger älter als 60 Jahre sein. Im Jahr 2030 schon jeder dritte. Wo das Steueraufkommen die Altersversorgung nicht mehr garantiert, sichert sich der Fiskus den Zugriff auf alternative Geldquellen: die Sparbücher der RentnerInnen. Damit Erna Conrad ihr Geld nicht mehr am Ku'damm verpulvern kann und die öffentliche Hand nicht eines Tages die Kosten für den Heimaufenthalt übernehmen muß, wurde ihr ein Betreuer vor die Nase gesetzt. Den muß sie auch noch selbst bezahlen. Drei Prozent ihres Vermögens stehen ihm, dem Junganwalt Claus Wulff, dafür jährlich zu. Für zehn Blitzbesuche in ihrer Wohnung hat er inzwischen rund 4.000 Mark kassiert. Bei den 20 Betreuungsfällen, die er vom Schreibtisch aus verwaltet, kommt da wohl einiges zusammen.

Seiner Mandantin wider Willen teilt er monatlich 3.500 Mark zu. Will sie mehr, muß sie bei ihm um ihr eigenes Geld betteln. Kurzerhand aufgehoben wurde auch die Vollmacht, die sie ihrem Freund Dieter Lang erteilt hatte. Denn Claus Wulff hält den Mann mit den zerrütteten Finanzen für einen Erbschleicher. „Wenn Frau Conrads Vermögen erst einmal weg ist“, meint er, „dann verschwindet auch Herr Lang. Vielleicht nach einer Schamfrist von einer Woche.“ Daß auch Wulff von der Bühne abtritt, wenn nichts mehr zu holen ist, versteht sich von selbst.

Keine Frage, Dieter Lang hat das Millionenerbe seiner Freundin verschwendet. 42.000 Mark Prozeßkosten schuldet der Pleitier ihr noch. Bei inzwischen rund 350.000 Mark eigener Schulden dürfte ihr Vermögen seine einzig sichere Geldquelle sein. Aber was tun, wenn Frau Erna Conrad der Spaß das wert ist? Mit welchem Recht verbietet man einer erwachsenen geistig wachen Frau, sich vom Mann ihrer Wahl ausnehmen zu lassen? Zumal dann, wenn sich an den Ersparnissen auch die eifrigen Helfer aus Behörden und Anwaltskanzleien gesundstoßen.

Ein Einzelfall ist das nicht, weiß Alexander Frey, Münchner Rechtsanwalt und Sprecher des „Arbeitskreises gegen Menschenrechtsverletzungen“. Aus langjähriger Praxis kennt er Dutzende von Fällen, bei denen alte Menschen um ihre Rechte gebracht wurden: Betreuende Rechtsanwälte zettelten unsinnige Prozesse für ihre Mandanten an, stellten dafür völlig überhöhte Rechnungen, übernahmen manchmal über 100 Pflegschaften gleichzeitig. Immer wieder wurden Gebrechliche von ihren „Helfern“ ins Krankenhaus gesteckt – und hinter ihrem Rücken die Wohnung verkauft. Enttäuschend am neuen Betreuungsgesetz sei vor allem die praktische Umsetzung, bei der RichterInnen und Betreuer noch immer „die Rechte der Betroffenen aushebeln“ könnten.

Dieter Lang droht jetzt, bis vor das Verfassungsgericht zu ziehen, um die Zwangsbetreuung für Erna Conrad aufzuheben. Er will die Kontrolle durch Richter wieder loswerden. Eine „Affenschande“ ist die ganze Betreuungspraxis für ihn, bei der, wie er sagt, die „Menschenrechte mit Füßen getreten“ werden. Um den Mann ruhigzustellen, haben die Behörden ihn jetzt zum ehrenamtlichen Zweitbetreuer seiner Freundin geadelt. Über ihr Sparbuch darf er nicht mehr verfügen, wofür er überhaupt zuständig ist, weiß niemand ganz genau.

Das Amtsgericht Charlottenburg setzt offenbar darauf, daß sich der selbsternannte Witwenrächer im Dschungel der Paragraphen verliert. Oder darauf, daß sich eine biologische Lösung des Problems ergibt. Bis dahin werden Erna Conrads Ersparnisse wohl längst unter ihren fürsorglichen Helfern aufgeteilt sein. Aber das ist dann auch schon schnuppe.

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