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Fünf Oscars für ein Ritterdrama

■ Das Schottenepos "Braveheart" von Mel Gibson machte das Rennen als bester Film 1995. Auch das ist Hollywood: Einmal im Jahr sitzt eine große Familie zu Tränen gerührt beisammen Von Mariam Niroumand

Fünf Oscars für ein Ritterdrama

Ach, roter Teppich! Ach, goldner Mann! Ach, Limousine, Paillettenkleid und Träne! Um drei Uhr früh, einer Zeit, zu der man früher Delinquenten erschoß, hatten sich in Berlin und Hamburg etwa 200 „Fanatiker“ (so der Taxifahrer) zusammengefunden, um der 68. Oscar-Verleihung beizuwohnen; wir hier im Berliner Royal-Palast, die Hamburger im Grindel-Kino. Daß Normalsterbliche einen Decoder brauchen, um die Übertragung auf premiere zu verfolgen, erscheint einem, wenn man es dann gesehen hat, absolutely correct: Die Zeremonie bezieht ihre Aura auch daraus, daß 3.000 Auserwählte im Dorothy- Chandler-Pavillon in Hollywood sitzen und extra für uns international dekodierbare Gesichter machen.

Die Chose nimmt in strahlendem Sonnenschein ihren Lauf. Vor dem Gebäude, auf den roten Teppichen, stehen wie Sirenen die berühmten Klatsch-Kolumnistinnen von Variety, dem Hollywood-Reporter oder Vanity Fair mit ihren pompösen, kathedralenhaften Haararrangements und haben das Problem, möglichst viele Zelebritäten vor ihr Mikrophon zu bekommen, ohne dabei die Zähne zu fletschen. Da ist Tom Hanks! Mit Frau!! „He looks great, she looks GREAT“, (sie muß auch fast bedauernd zugeben: Gianni Versace hat diese hauchzarte Angelegenheit extra für sie geschneidert, tja!), Moment mal: Quentin Tarantino steigt da gerade aus der Limousine mit einem Busenwunder, aber das ist doch: Mira Sorvino, Woody Allens „Mighty Aphrodite“!

Die Kamera tanzt begeistert, es ist wie Weihnachten, alle wiederzuerkennen, manche haben die Haare gefärbt. Dianne Wiest, eine Schauspielerin, von der man leider viel zu wenig zu sehen bekommt, hat sich eine gewisse Mopsigkeit zugelegt, Winona Ryder kommt mit der reizendsten Wasserwelle, die man sich denken kann, frühe dreißiger Jahre und Ed Harris ist einfach ein galanter Amerikaner mit demokratischen Manieren, sieht aus, als sei er einem Frank- Capra-Film entlaufen.

Whoopi Goldberg geleitet durch den Abend. Letztes Jahr war David Letterman kläglich gescheitert, denn diese Aufgabe erfordert es, daß man sich leicht, gewitzt, gastgeberisch und zugleich glänzend angespannt zu benehmen weiß. Goldberg fügt das ihr eigene Vulgär-und-stolz-darauf-Moment hinzu: „Meine Damen und Herren, haben Sie mich vermißt? Vieles hat sich im letzten Jahr verändert, die Lebenshaltungskosten, die Politiker und einige der Brüste hier im Raum. Ich mußte das einfach sagen!“ Die Publikumsmüdigkeit angesichts der seit einigen Jahren in Hollywood üblichen ostentativen Verkündigung politischer Statements – eingeführt von Richard Gere – hatte sie genau austariert.

Geschickt reagierte sie auch auf die Ankündigung Jesse Jacksons, er werde „Aktionen“ veranstalten, weil so wenig schwarze Künstler nominiert seien. „Also bitte: ich habe ein rotes Bändchen zur Erinnerung an Aids, ein weißes für chinesische Dissidenten, ein blaues zur Erinnerung an Rinderwahnsinn, ein goldenes für den sexuellen Mißbrauch, ein rot-oranges für Bosnien, ein grünes für die Umwelt – aber Jesse Jackson schaut uns nicht mal zu, also was soll's!“ Das Komische ist, daß eine solche Veranstaltung, die man sich im deutschen Fernsehen nur als Peinlichkeit vorstellen kann – wer sollte der Conférencier sein? Ulrich Wickert? –, einen zu Tränen rührt.

Einen Abend lang: Alle für einen, einer für alle

Es wird einem von der Grundkonstruktion schon ganz warm: Obwohl allen bekannt ist, was Goldberg meint, wenn sie Hollywood „Cutthroat Island“ nennt, und obwohl man einigen Gesichtern ansieht, daß sie hinter ihrem Lächeln ein paar Dinge hervorzischeln könnten... – trotzdem berührt einen dieser Teamgeist, alle für einen, einer für alle. Die Preise für die Kostümdesigner, die dann Grüße an die Mutter vor sich hinstammeln, werden von Naomi Campbell und Claudia Schiffer überreicht (an „Restauration“), für Maske von Winona Ryder (Braveheart“), von Susan Sarandon für den besten Nebendarsteller (Kevin Spacey für „The Usual Suspects“). Ohne Einführung geht dann auch mal plötzlich das Licht aus und Gene Kelly tanzt; später sieht man nochmal kurz die anderen, die wir letztes Jahr verloren haben: Ginger Rogers, George Burns, Ida Lupino, Dean Martin...

Steven Spielberg tritt auf und erklärt ohne viel Federlesens und ohne Floskeln, was an Kirk Douglas so großartig war, daß man ihn heute abend mit dem Oscar für sein Lebenswerk auszeichnet. Douglas kommt dann auch auf die Bühne, alle erheben sich, eine Gesichtshälfte hängt ein bißchen nach dem Schlaganfall, ein paar Leute im Publikum weinen, alle stehen und spenden Beifall. So ist es auch, als Superman Christopher Reeves in seinem Rollstuhl auf die Bühne gefahren wird und mühsam am Kehlkopfschlauch vorbeispricht.

Ausgerechnet Sharon Stone ist es dann, die die beiden Preise für Dokumentarfilme vergibt: Einer zeichnet den Lebensweg eines Holocaust-Opfers nach und plötzlich sieht man, auf nun grau ausgeleuchteter Leinwand, hohle Augen aus KZ-Baracken starren. Die Frau, die der Regisseur mitgebracht hat und deren Geschichte das ist, redet viel zu lang, aber sie muß, das versteht man sofort, an diesem prunkvollen Abend über die reden, die nicht ihr Glück hatten. Nicht nur Meryl Streep weint. So bekommt der Abend, der mit peinlichen Balletteinlagen, Animationssequenzen, einigen Songs und etlichen Filmausschnitten glorios weitergeht, ein ganz anderes Format: Filmemachen feiern als einen zivilen Akt.

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