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Vom Baguette zum Röhrenbrot

Der deutschen Sprache eine neue Geschwindigkeit geben. Der junge Autor Norman Ohler hat einen Detektivroman über den Cyberspace geschrieben: „Die Quotenmaschine“  ■ Von Jörg Häntzschel

Alle Welt redet vom Internet. Und während die Exotik der echten Welt allmählich aufgebraucht wird, hoffen wir auf etwas ganz Fremdes, ganz Unerwartetes in dem Land, das es gar nicht gibt, im „Cyberspace“.

Dieser unbegrenzt elastische Begriff mußte gefunden werden, weil ein Vorgang – die digitale Kommunikation – ohne einen Ort offenbar nicht vorstellbar war. Und so wie man immer gerne von Ufos und grünen Männchen träumt, lieben wir unsere „virtuellen Welten“ und die Außerirdischen, die sie bewohnen. Daß die von William Gibson in den Achtzigern erfundenen Cyberpunk-Mythen aktualisiert werden würden, war nur eine Frage der Zeit.

Maxx Rutenberg haust als stummer Detektiv in Hoboken, New Jersey. Sein einziger Fall: Die eigene bisherige Existenz. Unter dem Namen Ray lebte er, bis er Kippler, den Direktor der ominösen Organhandelsfirma „Lebensnetz“, ins Wasser und in den Tod trieb. Ray kam als Kind einer Monate zuvor gestorbenen Mutter, einer Untoten, auf die Welt, deren Körper von ebenjenem Kippler als Gebärbiotop am Leben erhalten wurde. Mit dem Mord will sich Ray, die „Spezialanfertigung“, das „Meisterwerk moderner Medizin“ für die angemaßte Vaterschaft Kipplers rächen und dem mittlerweile mit Designerorganen handelnden Firmenchef das Handwerk legen. Die klassische Recherche also, hier durchgeführt vom einem tatsächlich „Privaten Auge“. Maxx geht – wie so viele vor ihm – auf Selbstsuche durch Schreiben, bis er den Punkt erreicht, an dem er „als Ray scheiterte“. „Wo ist der Anschluß?“ muß er sich da fragen. „Brauche ich einen Anschluß?“ Das ist hier auch im technischen Sinne zu verstehen. Denn allein, nur im im Schein der Flüssigkristalle seines Laptops, so findet er bald heraus, kommt er nicht weiter. Mit Hilfe seines Kollegen Paul setzt er seine autobiographischen Fragmente im digitalen „Sauberraum“ aus, in der Hoffnung, die rastlos wandernde Internet-Bevölkerung möge bei den Ermittlungen helfen.

Und tatsächlich trifft er in „Zoo York“, im „Speak-Easy“, den virtuellen Schauplätzen des Romans, auf Augenzeugen und Mit-Schreiber. Virtuelle Existenzen, Cyborgs und abnorme Körper aus dem echten Leben reichen sich durch den Bildschirm die mehr oder weniger fleischlichen Hände. Paul hat eine Beinprothese und läßt sich alle Zähne ziehen, weil er Mikrophone in ihnen vermutet, Candy sieht durch ein Zyklopenauge, Zara Kipplers Haut ist bedeckt von Würmern und die nackte Maranie beatmet ihren Fleischberg durch eine Gasmaske.

Norman Ohler war schon ein Medienliebling, als sein Roman „Die Quotenmaschine“ noch als Hypertext im Internet flottierte. Dem Photographen des Zeit-Magazins tat er den Gefallen, sich in kühner Pose über den Dächern der Lower East Side abbilden zu lassen, in den Gläsern seiner insektenäugigen Sonnenbrille das World Trade Center: Einsam, dem Tageslicht entwöhnt, ein Popstar und unsere Hoffnung in New York. So sieht der Schriftsteller der 90er aus, und dabei ist er günstigerweise erst 26. Ohler, so der Tenor des Medien-Hypes, ist für die deutsche Literatur in etwa das, was die jungen Londoner Jungle-Bastler für die Musik sind, und ebenso cool, klug und unorthodox.

Zumindest stilistisch gibt es da eine Verwandtschaft. Ohler schreibt wie in Breakbeats: Atemlos und hysterisch von der ersten bis zur letzten Seite, stotternd, Satzenden kappend und: Doppelpunkte setzend, als hätte er einen Dauerschluckauf, um dann die Sprache wieder glatt rollen zu lassen. Er imitiert Straßengespräche und den schmucklosen Duktus von E-Mail-Botschaften. Neologismen läßt er unkontrolliert wuchern wie Computerviren. Und er verfremdet das Deutsche, infiziert es mit dem Amerikanischen („er pauste“) oder läßt das englische Rechtschreibprogramm die Arbeit machen: „Surest must du all Spruce verges, die du bis jets geleeans hats.“ Wenn das Baguette sich dann zum „Röhrenbrot“ aufspreizt, wird es allerdings ein bißchen peinlich.

Ohler will der deutschen Sprache „eine neue Geschwindigkeit“ geben. Sein überhitzter Duktus und die Hypernervosität des konfusen Plots wollen eine Geschichte erzählen wie „ein Videospiel, das außer Kontrolle geraten war“. Die maroden, fauligen Körper sind Ballast der Vergangenheit, wird immer wieder romantisch-verwegen postuliert. Mögen uns die Informationen durchspülen, bis sich endlich alles Materielle in Datenflüsse auflöst! Eine Art chronischer, softwaresimulierter LSD- Trip soll der letzte Daseinszustand sein.

Doch dazu kommt es nie. Bezeichnenderweise schloß Ohler die Hypertext-Version, die als „erster Roman im Internet“ zu lesen und zu ergänzen war, nach nur zwei Wochen wieder auf der Festplatte weg. Und Maxxens Selbstfindungsmaschine, der Computer, dümpelt am Ende als ganz und gar dinghafte Flaschenpost den Hudson hinab, nachdem er ihn aus dem Fenster geschmissen hat.

„Totale Freiheit und mehr“ mag es im Sauberraum Cyberspace geben, doch Geschichten finden dort kein Ende. Dazu läßt Ohler seinem Held kleinlaut zu den echten Menschen zurücksteigen. Beim Bier kommuniziert er mit Dichterkollegen aus der Nachbarschaft und notiert freundliche New-York-Impressionen. Etwas betrogen steht man als Leser da in der virtuellen Welt dieses Autors. Der finstere Netsurfer kehrt zu seiner Liebsten zurück: „Die Idee der Freiheit pfotet.“

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