: Wahnsinn: „Keine Panik“
Auch in der Schweiz geht die Angst vor BSE-verseuchtem Fleisch um. Aber die EU will keine Importverbote für Schweizer Kühe zulassen ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die Niederlande greifen durch, die Schweiz wiegelt ab. Der Landwirtschaftsminister in Den Haag kündigte am Mittwoch abend an, daß der gesamte Bestand an britischen Rindern in den Niederlanden getötet werde. Damit solle verhindert werden, daß möglicherweise Fleisch mit der Rinderseuche BSE auf den Markt komme. „Keine Panik!“ lautet dagegen die Botschaft der Schweizer Behörden. „Wir sind immer noch der Auffassung, daß der Konsum von Rindfleisch keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt“, versuchte gestern der Direktor des Berner Bundesamts für das Gesundheitswesen die Bevölkerung zu beruhigen. Auch nach Meinung des Wirtschaftsministeriums „besteht bislang kein wissenschaftlicher Hinwies, wonach für Schweizer Rindfleisch ein Konsumverbot erlassen werden müßte“.
Mit 206 Fällen von Boviner Spongiformer Enzephalopathie (BSE), die bislang offiziell registriert wurden, liegt die Schweiz zwar vor Portugal (184) an zweiter Stelle in Europa und weltweit. Doch dies, betonen die eidgenössichen Behörden, sei im Vergleich zu Großbritannien mit 160.000 registrierten BSE-Fällen eine verschwindend geringe Größe. Im übrigen habe die Schweiz seit Bekanntwerden des ersten Fälles im Herbst 1990 „sehr viel mehr als Großbritannien getan“. Seit November 1990 gilt eine Meldepflicht für Rinderwahnsinn. Es ist seitdem auch verboten, Milch von verdächtigen und kranken Kühen sowie Hirn, Rückenmark, Milz, Darm und Thymus von Rindern im Alter von über sechs Monaten zum Zweck des menschlichen Komsums zu verkaufen. Auch die Verfütterung von Tiermehl ist untersagt.
Überzeugt haben diese Tatsachen zumindest die EU-Kommission. Sie forderte Deutschland und Österreich am Mittwoch auf, den letzte Woche verhängten Importstop gegen Schweizer Rindfleisch aufzuheben. Doch eidgenössische Wissenschaftler und die Verbraucher sind weniger beruhigt. Immerhin erkrankten auch in der Schweiz seit 1991 jährlich fünf Menschen am Creutzfeld-Jakob- Syndrom (CJS). Während in Großbritannien das Durchschnittsalter der CJS-Patienten inzwischen auf 27 Jahren gesunken ist, war der bislang jüngste Schweizer Patient 42 Jahre alt. Sechs der in den letzten fünf Jahren Erkrankten sind verstorben. Nach Information des Leiters des Nationalen Referenzzentrums für Prion-Erkrankungen (NRPE) an der Universitätsklinik in Zürich, Adriano Aguzzi, war zwar bisher in keinem Fall ein Zusammenhang zwischen BSE und CJD nachweisbar. Aber Aguzzi will „nicht ausschließen, daß uns in der Schweiz ein Anstieg von Erkrankungen bevorsteht“. Er rät: „Alle Tiere, die vor dem 1. Dezember 1990 geboren wurden, sollten nicht mehr der Lebensmittelindustrie zugeführt werden.“
Das bedeutete die Notschlachtung eines nicht unerheblichen Teils des Schweizer Rinderbestandes, was Regierung und Bauernverbände entschieden ablehnen. Schuld an der ganzen Misere ist nach Ansicht vieler Bauern und Schlachter der eidgenössiche Futtermittelhandel, der Anfang der achtziger Jahre verseuchtes Knochenmehl aus England über Frankreich in die Schweiz importierte. Die Vorwürfe richten sich auch gegen das Berner Bundesamt für Veterinärwesen, daß diese Importe seinerzeit genehmigte.
Die Reaktionen der Regierung beschränken sich bisher auf die Ankündigung einer erweiterten Deklarationspflicht für in Geschäften angebotenes Rindfleisch sowie auf die Einrichtung einer „Rinderwahnsinn-Hotline“. Bereits am letzten Wochenende ging der Verkauf von Rindfleisch in den Filialen der größten Supermarktkette „Migros“ um zehn Prozent zurück. Selbst den Verkauf von sogenanntem Angus-Beef von nur mit Gras gefütterten Rindern aus dem bisher von BSE verschonten Schottland hat die Migros am letzten Freitag gestoppt. Metzger und Lebensmittelverkäufer sowie Kellner werden von Konsumenten verstärkt nach der Herkunft des in den Läden und Restaurants angebotenen Rindfleischs gefragt oder danach, ob sie ihre Kühltruhenbestände noch unbesorgt verzehren dürften. Auch die Viehmärkte beklagen massive Umsatzrückgänge.
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