: Mit der heutigen Konferenz in Turin soll der Anfang für große Veränderungen in der Europäischen Union gemacht werden. Alles soll unbürokratischer, transparenter, straffer werden. Doch nicht nur der notorische Blockierer Großbritannien steht
Mit der heutigen Konferenz in Turin soll der Anfang für große Veränderungen in der Europäischen Union gemacht werden. Alles soll unbürokratischer, transparenter, straffer werden. Doch nicht nur der notorische Blockierer Großbritannien steht im Weg. Die kleinen Staaten fürchten um ihre Mitbestimmung.
Gesucht: Der kleinste gemeinsame Nenner
In Sachen Rinderwahn hat die Europäische Union Handlungsfähigkeit demonstriert – bei dem heute beginnenden Gipfel in Turin wird ihr das sicher schwerer fallen. Denn die Staats- und Regierungschefs der fünfzehn EU-Staaten eröffnen heute mit der sogenannten „Regierungskonferenz 96“ eine Veranstaltung, deren Profil genauso vage ist wie ihr Titel. Nur die Erwartungshaltung der Mitgliedstaaten ist klar: Die Konferenz soll der Auftakt einer Rundumerneuerung der Union sein.
An deren Ende soll insbesondere ein ordentliches Face-lifting der Institutionen stehen: weniger Organe, kürzere Entscheidungsverfahren. Bis zu zwölf weitere Staaten, vor allem aus Mittel- und Osteuropa, dürften der Union in den kommenden Jahren beitreten – die Gremien und Verfahren wurden aber auf der Grundlage von nur sechs Mitgliedstaaten entwickelt. Den großen Ankündigungen in Sachen Straffung Taten folgen zu lassen, dürfte jedoch schwierig werden. Die kleinen Staaten werden kaum darauf verzichten, eigene VertreterInnen in so mächtige Gremien wie die EU-Kommission und den Europäischen Gerichtshof zu entsenden.
Interessanteste Akteure: Briten und Franzosen
Auch das großspurig postulierte Ziel, das Prinzip der Einstimmigkeit bei der Beschlußfassung aufzuheben, wird wohl kaum in Erfüllung gehen. Insbesondere Großbritannien blockiert dies. Problematisch ist das Prinzip der Einstimmigkeit vor allem bei der Steuerharmonisierung. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten will sich ein Vetorecht in der Steuerpolitik nicht nehmen lassen. So verhindern die Briten bereits seit Jahren jeden Fortschritt bei der Einführung europäischer Ökosteuern.
Ansonsten ist die Pflicht zur Einstimmigkeit bei der Schaffung von Gemeinschaftsrecht – der sogenannten ersten Säule der Union – bereits bei der Einführung des Binnenmarktes weitgehend beseitigt worden. So konnte auch das Exportverbot für britisches Rindfleisch durch die Gegenstimme aus London nicht verhindert werden.
Immerhin in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) – der zweiten Säule der Union – hat man ernsthafte Hoffnungen, den Zwang zur Einstimmigkeit etwas zurückzudrängen. Derzeit blockiert etwa Griechenland alle Maßnahmen, von denen die Türkei profitieren könnte.
Großbritannien und Frankreich sind die interessantesten Akteure der Konferenz. Der britische Premierminister John Major ist zwar etwas in die Defensive geraten, nachdem er die EU mit seiner BSE-Politik ins Chaos stürzte und auf EU-Milliardenspritzen für seine Farmer hoffen muß. Dennoch dürfte er schon aus Wahlkampfgründen weiterhin jede Wendung hin zu Europa verweigern. Die Mitgliedstaaten warten daher auch auf die britischen Unterhauswahlen, die spätestens im Mai 1997 stattfinden müssen. Das Ende der Konferenz wurde vorsorglich erst danach anberaumt.
Frankreich dagegen laviert seit dem Amtsantritt von Jacques Chirac zwischen Sympathie für Majors Verherrlichung des Nationalstaates und der Rückkehr zur alten Partnerschaft mit Deutschland als „Motor der Integration“. Zuletzt schlug das Pendel eher Richtung Deutschland aus, doch geht man nicht mit einer gemeinsamen Position in die Verhandlungen. So wünscht sich Frankreich eine Art europäischen Außenminister, der meist „Mister X“ genannt wird. Deutschland hingegen lehnt dies ab, um Konflikte mit den vier für die Außenpolitik zuständigen EU- Kommissaren zu vermeiden.
Der Demokratie nutzt das neue Vertragswerk wenig
Außerdem sind Bonn und Paris sich uneinig, wie die Demokratie in der EU gestärkt werden kann. Deutschland will dem Europäischen Parlament mehr Kompetenzen verschaffen, während Frankreich die nationalen Parlamente stärken möchte. Da beide Vorschläge wenig Unterstützung finden, wird die Demokratie bei der anstehenden Vertragsrevision wohl leer ausgehen. Doch all diese Konflikte sollen in Turin ohnehin nur gestreift werden. Die eigentliche Suche nach Kompromissen bleibt in den kommenden Monaten einer Arbeitsgruppe von 15 „Beauftragten“ überlassen.
Beim heutigen Mittagessen wird sich zunächst einmal Kommissionspräsident Jacques Santer unbeliebt machen und den Regierungschefs die Pläne für seinen europäischen „Vertrauenspakt“ erläutern. Mit rund vier Milliarden Mark, die 1995 in den Fonds liegengeblieben waren, will er den Bau transeuropäischer Schienen-, Straßen- und Energienetze ankurbeln.
Die Mitgliedstaaten sähen das Geld aber viel lieber in ihre eigenen Haushalte zurückfließen. Mehrheitlich halten sie ohnehin nichts von milliardenschweren Beschäftigungsprogrammen. Christian Rath, Brüssel
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