Das sexy Pelztier

■ Dick, faul und charismatisch: Marlon Brando ist im Kommunalkino in einer umfangreichen Retrospektive zu erleben D

junge Gott ist fett geworden. Auf den ersten Blick wirkt er nur grotesk und abstoßend. Aber dann nuschelt er ein paar Sätze, die man kaum verstehen kann. Er bewegt seine Fleischmassen mit einer überraschend tänzerischen Eleganz. Und schon hat Marlon Brando sein Publikum wieder verführt. In seinem bisher letzten Film „Don Juan DeMarco“ spielt zwar eigentlich Johnny Depp den größten Liebhaber aller Zeiten, aber Brando braucht sich nur einmal faul im Bett neben Faye Dunaway zu strecken, um dem Jungstar endgültig die Show zu stehlen.

Es ist wohl eine der erstaunlichsten und größten Leistungen Marlon Brandos, daß er sich der Versteinerung zur kultisch verehrten Pop-Ikone so gewitzt widersetzt. Auch wenn er jetzt nur in harmlosen Unterhaltungsfilmen spielt, beweist er ganz unangestrengt, daß er immer noch einer der ganz großen Schauspieler unserer Zeit ist. In einer Umfrage der englischen Zeitschrift „Time Out“ wurde er erst im vergangenen Jahr mit Abstand zum „best actor“ gewählt. Das Bremer Kommunalkino 46 widmet dem Star ab diesem Wochenende eine umfangreiche Retrospektive.

Seit er in seiner zweiten Filmrolle in „A Streetcar Named Desire“ im verschwitzten Unterhemd als der aggresiv-brutale Kowalski mit animalischer Inbrunst nach seiner „Stella“ schrie, wird er als eine ganz neue Art von Star gefeiert. Der Schriftsteller Jerome Charyn schreibt über diese Faszination: „Seine Sexualität verstörte eine ganze Generation. 1950 fiel er wie ein Pelztier von einem anderen Stern auf die Erde. Er war düster, hatte einen Wahnsinnsbizeps und einen sinnlichen Mund. Er war das eigentliche Objekt der Liebe, und alle Frauen um ihn herum, selbst Vivien Leigh, standen in seinem Schatten.“

In dem Motoradfilm „Der Wilde“ sah man ihn 1954 in Lederjacke und Jeans als den halbstarken Helden, der auf die Frage, wogegen er denn eigentlich rebellieren würde, sein berühmtes „Whaddya Got ?“ (Was haben Sie denn ?“) nuschelte. Mit der Rolle des an der korrupten Welt scheiternden Boxers in Elia Kazans „Die Faust im Nacken“ war das Image des frühen Brando als schönem Wilden komplett.

Aber der Schauspieler, den Kazan als „möglicherweise den sanfteste Menschen, den ich je kennengelernt haben“ beschrieb, war nie glücklich mit dieser Typisierung, und so bemühte er sich um ganz anderen Rollen, etwa als Mark Antonius in „Julius Caesar“ oder als tragischer Orpheus mit einer Schlangenhautjacke in „The Fugitive Kind“ von Sidney Lumet. Bei den meisten dieser Filme ist seine schauspielerische Leistung das Einzige, was sie heute noch sehenswert macht. Insgesamt gibt es in Brandos Filmographie mehr Enttäuschungen als Meisterwerke und auch seine einzige Regiearbeit, der düstere Western „One Eyed Jacks“ floppte an den Kinokassen. Ein Tiefpunkt seiner Karriere war dann seine Leistung in Charles Chaplins letztem Film „Die Gräfin von Hongkong“, in dem man dem hoffnungslos fehlbesetzten Brando genau anmerkt, wie sehr Chaplins gestelzte Dialoge ihn langweilten.

Ende der 60er Jahre galt Brando als Kassengift. Erst in Coppolas „Der Pate“ gelang Brando 1972 ein sensationelles Comeback als Mafiaboß mit viel Watte in den Backen, Im nächsten Jahr gab er in Bertoluccis „Der Letzte Tango in Paris“ eine seiner besten Leistungen, aber leider fehlt gerade dieser Film, in dem er so ungeschminkt sich selbst spielte, in der Reihe der hier gezeigten Filme.

Stattdessen zeigt das Kommunalkino lieber „Apokalypse Now“, in dem Brando lediglich im Dunkeln unverständliches Zeug murmelt. Und dies nur, weil er nicht wollte, daß man auf der Leinwand sah, wie dick er geworden war und weil er sich schlicht weigerte, den Text zu lernen. Ebenfalls kein Ruhmesblatt ist Brandos hemmungsloses Schmierentheater in der Westerntravestie „The Missouri Breaks“.

Durch seine exzentrische Lebensweise, Familientragödien, finanziellen Schwierigkeiten und eine frech dahingerotzte Autobiographie tauchte Brando in letzter Zeit mehr auf den Klatschseiten der Zeitungen als in den Filmkritiken auf. Aber im letzten Jahr war er plötzlich mit „Don Juan DeMarco“ wieder da. Hoffentlich müssen wir nicht , wie nach „The Freshman“, noch einmal fünf Jahre auf den nächsten Film mit ihm warten. Denn Brando ist zwar nicht unbedingt, wie Truman Capote es einmal schrieb, „ein dummes Genie“ – aber ganz sicher ein faules.

Wilfried Hippen

Die Filmreihe im Kino 46 (Waller Heerstraße 46) beginnt an diesem Wochenende mit „Der Wilde“ (Samstag 18.30 Uhr, Sonntag 20.30 Uhr) und läuft bis Anfang Juli