: Gut gedacht, schlecht gemacht
Enthospitalisierung in Berlin: Psychiatriebetten werden abgebaut, doch in den Bezirken hapert es an Ersatz durch ambulante Versorgung ■ Von Kathi Seefeld
Psychiatriebetten in Berlin sollen weiter abgebaut werden. Die Bezirke sehen jedoch finanzielle Probleme bei der ambulanten Versorgung. 477 Mark kostet der Aufenthalt eines Patienten in der Karl- Bonhoeffer-Nervenklinik pro Tag. Außerhalb der Krankenhausmauern ist Betreuung schon für weniger als die Hälfte möglich. „Selbst bei hoher Betreuungsdichte ist die Versorgung im außerstationären Bereich deutlich preiswerter“, sagt Clemens Kolling, Psychiatriekoordinator in Wedding.
Enthospitalisierung zum Nulltarif?
Bereits Berlins alte Koalition bekundete großes Interesse, die immensen Kosten von mehr als 700 Millionen Mark pro Jahr für die vorhandenen stationären Strukturen (5.500 Betten) so schnell wie möglich zu reduzieren. 1993 beschloß sie, vor allem bei Langzeitpatienten 1.800 Krankenhausbetten im psychiatrischen Bereich abzubauen. Durch Zuwendungen und Tagessätze sollte gleichzeitig das Netz ambulanter Einrichtungen, das sich in den letzten zehn Jahren vor allem im Westteil der Stadt entwickelt hat, weiter ausgebaut werden. Die Krankenkassen erklärten sich bereit, den Reformprozeß mit 60 Millionen Mark zu unterstützen.
Gut gedacht, schlecht gemacht, klagen mittlerweile jene, die sich in den Kontakt- und Beratungsstellen, Zuverdienstfirmen und betreuten Wohnformen auf die Mitarbeit bei der Enthospitalisierung eingelassen haben. Sie fürchten, daß die vom Senat angestrebten Millioneneinsparungen im stationären Bereich ambulant nicht mehr aufgefangen werden können, da hier ebenfalls gespart werden soll. Auf 1.000 BerlinerInnen sollen nur noch 0,6 Klinikbetten kommen. Die Bezirke, so der Weddinger Psychiatriekoordinator, die seit Januar 1995 einen Teil der Finanzierung für die Versorgung außerhalb der Kliniken übernommen haben, könnten mit Blick auf den Nachtragshaushalt nur entscheiden, ob sie lieber im Jugend- oder im Altenbereich streichen. „Wenn die Enthospitalisierung künftig kostenneutral umgesetzt werden soll, heißt das auch, daß angesichts der unzureichenden Ausstattung in den Ostbezirken tiefe Einschnitte im Westteil der Stadt gemacht werden müssen.“
Da vom Senat faktisch seit November vergangenen Jahres keine Mittel mehr gekommen seien, könne „der 1993 begonnene Prozeß, Menschen nach jahrelangem Aufenthalt in der Klinik wieder im Heimatbezirk anzusiedeln“, bereits als willkürlich unterbrochen betrachtet werden. So kamen im Wedding 41 Plätze für die außerstationäre Betreuung psychisch Kranker nicht zustande. Weder der Förderkreis für Behinderte noch der Verein für psychische Rehabilitation konnte für seine Plätze Mietverträge unterschreiben.
„Im März hätte ein Teil der Patienten einziehen können. Nunmehr sehen sich jene, die in langwieriger Arbeit von den Mitarbeitern der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik auf ein Leben außerhalb der Klinik vorbereitet wurden, getäuscht.“ Es sei zweifelhaft, so Kolling, ob sich diese Menschen noch einmal auf solch einen Prozeß einlassen. „Im normalen Geschäftsleben kann kein Mensch eine Dienstleistung einfordern mit dem vagen Hinweis, in wenigen Wochen oder Monaten einen Preis dafür auszuhandeln und vielleicht zu bezahlen“, sagt Christa-Maria Blankenburg, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. Man könne nicht monatelang über die Finanzierung im ungewissen gelassen werden.
„Alles nicht so schlimm“, heißt es in der Pressestelle der Gesundheitsverwaltung. 400 Betten seien seit Inkrafttreten des Krankenhausplanes 1993 abgebaut worden.
Hundert neue Tagesstättenplätze
Dem gegenüber stünden 1995 beispielsweise hundert neue Tagesstättenplätze in der allgemeinen Psychiatrie, im altenpsychiatrischen und im Suchtbereich. „Außerdem“, so Sprecherin Gabi Lukas, „wurden 250 betreute Wohnplätze, zusätzlich 70 im Suchtbereich geschaffen.“ Während des Haushaltsstopps seien keine weiteren Projekte möglich gewesen. Doch mit Nachtragshaushalt und Konkretisierung des Enthospitalisierungsprogramms, das lediglich noch der Zustimmung von Finanz- und Innensenat bedürfe, gehe es positiv weiter wie bisher.
Am Prenzlauer Berg sind noch keine durch den Abbau von Psychiatriebetten freigewordenen Mittel in den ambulanten Bereich geflossen, sagt Robby Jacob vom psychiatrischen Verbund PRENZL KOMM. „Schon vor dem Start des Senatsprogramms lag die stationäre Quote der Klinik aufgrund eines anderen Psychiatrieansatzes zu DDR-Zeiten unter 0,6 Promille.“ Doch die PRENZL KOMM braucht Mittel, vor allem um die Arbeit an neuen Inhalten der Psychiatrie fortzuführen.
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