Ein leitwölfisches Grinsen

Mehr krachende Knochen als knallige Spielzüge beim 1:0 der Bayern im Bundesliga-Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund  ■ Aus München Matti Lieske

Nahezu 800 Länderspiele tummelten sich beim sogenannten Spitzenspiel der Bundesliga zwischen Bayern München und Borussia Dortmund auf dem Rasen des vollbesetzten Olympiastadions, und nur vier der 22 Akteure (Ricken, Nerlinger, Klos, Kreuzer) mußten mit der Schmach behaftet dem Ball nachjagen, kein A-Länderspiel bestritten zu haben. Hätte ein unbefangener Beobachter den Befähigtsten in dieser edlen Galerie von Ballbewegern herauspicken sollen, er hätte vermutlich auf den älteren Herren mit der Nummer 10 gezeigt, der mit 122 Berufungen zwar den größten Länderspielposten beitrug, aber aus disziplinarischen und perspektivischen Gründen beim Bundestrainer keine Chance mehr hat.

Nichtsdestotrotz führt Lothar Matthäus seine Serie bilateraler Gespräche mit oder ohne Kamera weiter und versucht sozusagen auf diplomatischen Wege, doch noch Eingang in die nationale Fußballvertretung zu finden. Zuletzt plauschte er telegen mit Matthias Sammer, seinem designierten Nachfolger auf jener Position, die so nett als „Leitwolf“ bezeichnet wird. Friedlich-freundlich, so wurde verlautbart, sei die Atmosphäre dabei gewesen, das änderte sich schlagartig, als sich die beiden auf dem Spielfeld wiedertrafen. Nach wenigen Minuten stürmte Matthäus wie einst im Mailänder Sommer in die gegnerische Hälfte, spielte den Ball aber, sobald er in Sammers Reichweite geriet, vorsichtshalber ab. Das half ihm wenig, niedergemäht sank er auf den Rasen. Die nächste Begegnung verlief umgekehrt, und auch fürderhin krachten meist die Knochen, wenn sich die beiden Liberi in die Quere kamen.

Insgesamt hatte Matthäus jedoch das bessere Ende für sich. In der Defensive souverän, in der Offensive zurückhaltend, war er eine wichtige Figur im Bayern-Spiel. Bei Münchner Angriffen hielt er meist einsame Wacht an der Mittellinie, und auch in der 38. Minute mußte er fast genötigt werden, die gegnerische Hälfte zu betreten. Dann jedoch spielte er urplötzlich jenen Steilpaß, der Mehmet Scholl das Siegtor für die Bayern ermöglichte, und konnte sich anschließend ein leitwölfisches Grinsen nicht verkneifen.

Sammer war erheblich offensiver, aber weit weniger wirkungsvoll. Ein paar nicht sonderlich gefährliche Schüsse, ansonsten viele mißlungene Kurzpaßanspiele in der undurchdringlichen Mitte der Münchner Abwehr. Es zeigte sich, daß den Dortmundern ohne Möller ein wesentliches Element fehlt: die Überraschung. Als sich Trainer Ottmar Hitzfeld eine Viertelstunde vor Ende entschloß, mit Patrick Berger endlich die Spielkultur seiner vorwiegend auf Knochenpolieren eingestellten Mannschaft zu heben, war es zu spät, wiewohl sich danach noch einige brenzlige Situationen für die Bayern ergaben.

Diese wiederum fielen zunächst auch nicht gerade durch Einfallsreichtum auf, sondern profitierten vorwiegend von Fehlern der Dortmunder, die sich geistiger Behäbigkeit (Zorc, Heinrich) und Leichtsinns (Cesar) befleißigten. Schon vorher war klar, daß die Gnade des ersten Tores eine wichtige Rolle spielen würde, und als die Bayern dies im Sack hatten, gelangen ihnen einige gescheite Konter, bei denen lediglich der Abschluß durch Papin (zu spektakulär), Scholl (zu verfummelt) und Klinsmann (Pfosten) zu wünschen übrig ließ. Mitte der zweiten Halbzeit waren die Bayern gar so überlegen, daß sie das Eckenverhältnis binnen weniger Minuten von 0:3 auf 8:3 korrigierten. Als dann jedoch bei einem schnellen Gegenstoß durch Scholl nur noch Klinsmann mitlief, war klar, daß es die Gastgeber gut sein ließen – zumindest, was das Fußballspielen betraf.

Ausgerechnet der oberste Hänfling auf dem Spielfeld fühlte sich am Ende berufen, seine Befähigung als Kraftsportler zu demonstrieren. Mehmet Scholl versetzte Stephane Chapuisat nach dem Schlußpfiff hinter dem Rücken des Schiedsrichters, aber vor den Objektiven der Fernsehkameras einen herzhaften Fausthieb, der für ihn wohl verderblicher ausfallen wird als für den Schweizer. Unversöhnlicher Abschluß eines überdurchschnittlich giftigen, ansonsten eher durchschnittlichen Spitzenspiels, das die geballte Kompetenz von 800 Länderspielen geschickt zu kaschieren vermochte.

Borussia Dortmund: Klos - Sammer - Kohler, Cesar - Reuter (83. Kree), Freund, Zorc, Ricken (73. Berger), Heinrich (77. Reinhardt) - Riedle, Chapuisat

Zuschauer: 63.000; Tor: 1:0 Scholl (38.)

Bayern München: Kahn - Matthäus - Kreuzer, Helmer - Scholl, Nerlinger, Babbel, Herzog, Ziege - Papin, Klinsmann