: Alle versprechen, in Rumänien aufzuräumen
Wahljahr im ehemaligen Reich Ceaușescus: Im Frühjahr stimmen die RumänInnen über Lokalparlamente ab, im Herbst über über ein neues Abgeordnetenhaus und einen Präsidenten. Populistische Parolen haben Konjunktur ■ Aus Bukarest Keno Verseck
Müllberge, die nicht abtransportiert werden, Rattenplage, Straßen, übersät mit Schlaglöchern, defekte Kanalisation, kein fließendes Wasser und kalte Wohnungen im Winter – für Hunderttausende der zwei Millionen Einwohner Bukarests ist das der Alltag. Sie gewöhnen sich nur deshalb nicht an die Misere, weil sie von Tag zu Tag schlimmer wird.
Sie endlich zu beseitigen, versprechen derzeit Politiker aller rumänischen Parteien. In diesem Frühjahr finden in Rumänien Lokalwahlen statt, im Herbst Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. In Bukarest läßt das Versprechen, mit den katastrophalen Zuständen aufzuräumen, nur bei einem Bürgermeisterkandidaten wirklich aufhorchen: Bei Victor Ciorbea, der für das Oppositionsbündnis „Demokratischer Konvent Rumäniens“ (CDR) antritt.
In 200 Tagen soll Bukarest wieder sauber sein
Der altkommunistische Gewerkschaftsführer Ciorbea, der vor anderthalb Jahren eine schnelle Karriere bei der Opposition begann, unterzeichnete Ende März vor großem Wahlkampfpublikum seinen „Vertrag mit den Bukarestern“. Er verspricht innerhalb von 200 Tagen ein umfassendes System zu schaffen, mit dem Privatunternehmen von der Bürgermeisterei beauftragt werden, alle dringenden Probleme Bukarests wie Müllabfuhr, Straßenreparaturen, Heizungs- und Wasserversorgung anzupacken. Die rumänische Hauptstadt soll binnen 200 Tagen sauber sein und die Müllabfuhr wieder funktionieren. Kann Ciorbea nach 200 Tagen keine Ergebnisse vorweisen, verspricht er, laut Vertrag, zurückzutreten.
Originell und demagogisch: Zugleich mit den umfangreichen Maßnahmen zur Infrastrukturverbesserung sollen Rentner und Einkommenschwache von einem Teil der Steuern befreit werden und öffentliche Verkehrsmittel umsonst benutzen dürfen. Das Problem mehr auszugeben und weniger einzunehmen will Ciorbea gelöst haben: Bukarest erhält derzeit etwa 17 Prozent seines Steueraufkommens als eigenen Haushalt vom Staat zurück. Diese Quote sowie die Immobilien-, Grund- und Kfz- Steuern sollen erhöht werden.
Einen ähnlich lautenden „200- Tage-Vertrag mit Rumänien“ hat der „Demokratische Konvent“ bereits im November letzten Jahres veröffentlicht und dazu jüngst einen Finanzierungsplan vorgelegt. Er ist für die Parlamentswahlen konzipiert und wendet sich vor allem an die 30 Prozent der Bevölkerung, die in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Ihnen verspricht er Landverteilung, Steuererleichterungen und günstige Kredite. Daneben sieht der Vertrag Infrastrukturverbesserungen sowie Hilfen für Rentner, Studenten, Schüler und Auszubildende vor. So glaubt der Konvent, endlich gewinnen zu können.
Der Traum ist mittlerweile mehr als sechs Jahre alt. In dieser Zeit gewann die „Partei der sozialen Demokratie“ (PDSR) des Staatspräsidenten Ion Iliescu zweimal die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Das Iliescu- Regime hat sich seitdem immer mehr gefestigt, Reformen verzögert, praktisch ohne Protest zahlreiche Gesetze und Institutionen der Ceaușescu-Diktatur aufrechterhalten und alte Kader wieder an die Macht gebracht. Die PDSR ist zu einer korrupten Oligarchie geworden, die im Land schrankenlos waltet. Eine erst jüngst aufgekündigte Koalition mit neofaschistischen und nationalistischen Parteien schaffte das hysterische Klima, in der sich die PDSR als Ordnungshüterin und Verteidigerin nationaler Werte und Würde legitimieren kann. Trotz massiver Unzufriedenheit unter den Rumänen, deren äußeres Zeichen ständige Streiks und Massendemonstrationen sind, liegen Iliescu und die PDSR in Meinungsumfragen immer wieder an erster Stelle.
Gegen die Professionalität, mit der sich die PDSR-Oligarchie an der Macht gehalten hat, scheint der Konvent noch immer chancenlos. In ihm sind derzeit ein Dutzend Parteien und Organisationen verschiedenster Couleur zusammengeschlossen. Seine Führungsschicht besteht im wesentlichen aus alten Politikern der Zwischenkriegszeit und bekannten Intellektuellen, die kaum politische Erfahrungen haben. Wirtschafts- und Verwaltungsexperten hat der Konvent kaum aufzubieten. Er ist seit langem von inneren Streitigkeiten ausgezehrt. Zum einen geht es um die Frage, ob die Opposition mit Iliescus PDSR eine Koalition eingehen oder bei ihrer reinen moralisch-antikommunistischen Linie bleiben soll, zum anderen um die erdrückende Dominanz der stärksten Konventspartei, der christdemokratischen Bauernpartei. Aus letzterem Grund verließen vor einem Jahr vier Parteien den Konvent, die zusammen etwa auf zehn Prozent der Stimmen kommen.
Zwar hat der CDR seine Reihen angesichts der bevorstehenden Wahlen fester geschlossen. Doch es ist zweifelhaft, ob er die Wahlen lediglich mit dem populistischen „Vertrag mit Rumänien“ gewinnen kann, dessen Maßnahmen sich gegenseitig widersprechen. Zudem wendet er sich im wesentlichen nur an die Bauern des Landes. Dagegen ist zum Beispiel von einer Bewältigung der Inflation, der Restrukturierung der veralteten und defizitären rumänischen Industrie und der Privatisierung im Vertrag nicht die Rede.
Die Bauernpartei will König Michael zurückholen
Politisch gesehen hat der Konvent nicht nur Populismus, sondern geradezu Abenteuerliches anzubieten. Die Bauernpartei spielt ernsthaft mit dem Gedanken, den im Schweizer Exil lebenden König Michael ins Land zu holen und die Monarchie wieder einzuführen. Außenpolitisch strebt der Konvent eine schnelle Vereinigung mit Moldawien an, welches er als zu Unrecht unabhängigen Staat betrachtet. Von der Ukraine fordern Konventspolitiker die Nordbukowina mit dem Argument zurück, sie sei urrumänisches Territorium und von Stalin zu Unrecht annektiert worden. Bislang ist unklar, ob dieser Kurs einer außenpolitischen Konfrontation tatsächlich ernstgemeint ist, um Stimmen aus dem Lager der Nationalisten zu gewinnen.
Ausblicke darauf, wie ernst solche Vorhaben gemeint sein könnten, haben Politiker des Konvents bereits genügend gegeben. Ihre nationale, minderheitenfeindliche und großrumänische Rhetorik steht der der nationalistischen Parteien inhaltlich oft nichts nach. Einflußreiche Politiker des Konvents treten für eine Rehabilitierung des Diktators Antonescu ein, fordern, daß Homosexualität strafbar bleibt und wollen die Todesstrafe wieder einführen. In diesem Licht erscheint das größte rumänische Oppositionsbündnis immer mehr als falsche Alternative.
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