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"Wir verlieren unsere Souveränität"

■ Interview mit dem weißrussischen Oppositionspolitiker Stanislaw Bogdankewitsch über den geplanten Unionsvertrag mit Rußland, Machtgelüste der Regierung und die Unterdrückung Andersdenkender

Stanislaw Bogdankewitsch, ehemaliger Chef der Nationalbank, ist Partei- und Fraktionsvorsitzender der Vereinigten Bürgerpartei. Die Partei verfügt im weißrussischen Parlament über 20 Sitze.

taz: Warum sind Sie gegen den geplanten Vertrag zwischen Rußland und Weißrußland?

Stanislaw Bogdankewitsch: Unsere Regierung hat uns den Vertrag im Wortlaut noch nicht vorgelegt. Es war der polnische Präsident Aleksander Kwaśniewski, der mich und andere Abgeordnete bei unserem Treffen vor wenigen Tagen in Brest über Einzelheiten unterrichtet hat. Ich kann nur soviel sagen: Wir sind gegen die Schaffung zwischenstaatlicher Organe. Wohin das führt, wenn sich ein großer mit einem kleinen Staat zusammenschließt, ist klar. Die Gesetzgebung Rußlands wird Schritt für Schritt auf Weißrußland ausgedehnt. Wir werden unsere Souveränität und Unabhängigkeit verlieren. Auf dem Papier mag der Vertrag ja gut aussehen. Doch wir sind Realisten und Pragmatiker genug, um zu wissen, daß das gar nichts bedeutet. Wir haben in Weißrußland auch eine gute Verfassung und gute Gesetze, aber auch die werden ständig verletzt.

Viele Menschen in Weißrußland erhoffen sich von einer engeren Integration mit Rußland eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage.

Das ist doch nur eine Illusion, die von unserer Regierung genährt wird, nach dem Motto: Wenn es die Union wieder gäbe, hätten wir sofort höhere Gehälter, höhere Renten und Arbeitsplätze für alle. Die Wahrheit ist, daß nicht die fehlende Integration mit Rußland, sondern mangelnde Effizienz und der Mangel an Technologie der Grund für unsere wirtschaftliche Misere ist. Diese Entwicklung wird durch die enge Zusammenarbeit mit Rußland noch verstärkt. Unsere Grenze ist jetzt offen, Zollschranken gibt es nicht mehr. Das Ergebnis? Die Produktion in Weißrußland ist noch gesunken.

Welche Konsequenzen für die Wirtschaft in Weißrußland würde eine Union mit Rußland haben?

Die Lage würde sich weiter verschlechtern. Denn Rußland verteidigt seine Wirtschaft, und das geht auf unsere Kosten. Früher führten wir Lebensmittel problemlos aus dem Westen ein. Jetzt werden aufgrund der russischen Gesetze Zölle erhoben, die die Waren um bis zu 20 Prozent verteuern. Das hemmt bei uns auch Investitionen aus dem westlichen Ausland. Kurioserweise sucht unsere Regierung selbst nach Wegen, um diese Gesetze zu umgehen.

Das Votum der russischen Duma, die Auflösung der Sowjetunion für ungültig zu erklären, und die Ankündigung des Unionsvertrages zum jetzigen Zeitpunkt sind ja wohl nicht zufällig.

Der geplante Vertrag ist eindeutig ein Versuch, die Marionette Weißrußland für Wahlkampfzwecke zu mißbrauchen. Das ist doch alles Ideologie. Früher war es der Kommunismus, jetzt ist das so eine Art Panslawismus. Allerdings müssen wir Rußland noch dankbar sein. Immerhin hat Jelzin gesagt, daß von einem Zusammenschluß Weißrußlands mit Rußland keine Rede sein kann. Demgegenüber hat unser Präsident Lukaschenko schon einen gemeinsamen Staat angekündigt. Unsere Führung ist bereit, die Unabhängigkeit und Souveränität einfach abzugeben, nur um an der Macht zu bleiben.

Der Vertrag muß noch vom weißrussischen Parlament ratifiziert werden. Sehen Sie noch Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen?

Wir haben fast keine Möglichkeit, unseren Standpunkt öffentlich zu machen, wir werden systematisch blockiert. Als Lukaschenko den Plan für die Union im Parlament vorstellte, wurden im Fernsehen nur Abgeordnete gezeigt, die sich dafür aussprachen. Ein Mitglied unserer Fraktion ist extra nach Moskau gereist, um dort bei dem unabhängigen Fernsehsender NTV aufzutreten. So hat die Bevölkerung Weißrußlands wenigstens auf diesem Wege erfahren, daß es Gegner des Vertrages gibt. Interview: Barbara Oertel

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