piwik no script img

Uran ist immer teurer als Gold

Die Ukraine will Atomkraft nicht weiter ausbauen und Tschernobyl als Atomklo nutzen. Alternative Energien haben aber gute Chancen  ■ Aus Kiew Reiner Metzger

Tschernobyl wird auf jeden Fall geschlossen“, sagte Ende März Valerij Kukhar, der Chefberater für Umweltschutz und Reaktorsicherheit des ukrainischen Präsdienten Leonid Kutschma. Lange mußten ukrainische Umweltschützer auf diese Stellungnahme warten, und auch jetzt erklärt keiner der Zuständigen genau, wann die Schrottreaktoren endgültig erkalten. „Es gibt einen Zeitplan“, meinte Kukhar nur.

Die langwierigen Arbeiten für die Schließung der beiden noch laufenden Reaktorblöcke Tschernobyl I und III sollen beginnen, wenn die ersten Zuschüsse und Kredite der westlichen Industrieländer eintreffen. Kukhar rechnet gegen Ende des Sommers mit den ersten Raten der vom Westen zugesagten 3,5 Milliarden Mark. Gestern wurden jedoch Verhandlungen in Kiew mit dem Westen erneut vertagt.

Für mindestens 15 Jahre plant die Ukraine laut Kukahr keine neuen Meiler mehr. Nur die beiden fast fertigen 1.000-Megawatt- Druckwasser-Reaktoren Chmelnizki II und Rowno IV sollen noch ans Netz gehen. Das ukrainische Atom-Memorandum ist keineswegs selbstverständlich. „Die Kernkraftwerke sind in der gegenwärtigen Lage die Rettung der Ukraine“, tönte der vorherige Präsident Leonid Krawtschuk. Und auch der jetzige Staatschef Kutschma behängte noch diesen Januar die im AKW-Park bei Saporoschje arbeitenden Atomtschiks mit Orden für ihre Großleistungen.

„Geld wäre eh nicht dagewesen für teure neue Atomzentralen, auch wenn bestimmte Leute das noch so wünschen.“ So gewinnt Andrej Glasavoj, Aufsichtsrat bei Greenpeace Ukraine und Chefredakteur der Zeitschrift Eco-Express, der prekären Finanzlage eine gute Seite ab. Doch er fragt sich: „Werden die beiden AKW von Tschernobyl durch regenerative Energien ersetzt oder durch die üblichen Großkraftwerke?“

Der Mangel an Kapital trifft nicht nur die Befürworter der Kernkraft, sondern auch die Verfechter einer umweltverträglicheren Stromversorgung. Das Bruttosozialprodukt der Ukraine ist von 1990 bis 1994 um 40 Prozent gefallen, da kneift es an allen Ecken. „Wir haben zwar neuerdings eine staatliche Agentur für alternative Energien“, sagt Glasavoj, „aber ihr Budget für Forschung und konkrete Projekte liegt bei etwa 1,5 Millionen Dollar im Jahr – für die ganze Ukraine.“

Die Verfechter der nachhaltigen Entwicklung haben einen Vorteil: Ihre Vorschläge sind billiger als die Kernkraft, und die Milliardeninvestitionen für die sowieso nötige Erneuerung des Energiesektors der Ukraine würden in kleineren Portionen anfallen. Nach einer Studie des deutschen und des österreichischen Öko-Instituts aus dem Jahr 1993 müssen zum Beispiel 60 Prozent der Fernheizzentralen für die Wohnblöcke in Städten bald erneuert werden, weil sie älter als zwanzig Jahre sind. Wenn sie durch Heizkraftwerke ersetzt werden, die auch Strom produzieren, steigt die Leistung um 10.000 Megawatt – soviel wie durch zehn neue AKW. Die neuen Heizkraftwerke würden zwar 4 bis 6 Milliarden Dollar kosten, doch allein die Nachrüstung der beiden fast fertigen Atomreaktoren in Rowno und Chmelnizki mit Sicherheitssystemen nach westlichen Standards wäre genauso teuer.

Wind, Wasser und Erdwärme können nach einer soeben erschienenen Greenpeace-Studie die Stromversorgung allein sichern. Früher gab es in der Ukraine schon einmal Tausende kleine Wasserkraftwerke an den vielen Flüssen. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg durch riesige Stauseen am Dnjepr ersetzt. Die Turbinen des Speichers bei Kiew laufen aber nur zwei bis drei Stunden am Tag während der Spitzenlastzeiten. „Das Projekt war schlichte Gigantomanie, es fehlt einfach das Wasser hinter diesem Staudamm“, erkärt Viktor Schulga, Direktor des Kiewer Instituts für nichttraditionelle Energien. „Bei der Regierung setzt erst jetzt ein Umdenken ein.“

Die Preise für die alternativen Energien sind nach ukrainischen Studien durch die niedrigen Löhne sehr günstig. Laut Greenpeace soll die Kilowattstunde Windenergie bei Rotoren aus ukrainischer Produktion 2,3 Cent kosten, bei einer späteren Großserie sogar nur einen Cent. Mit Gas und Öl betriebene Zentralen produzieren ihren Strom für etwa 3 Cent. Die großen Wasserkraftwerke werden auf 9 Cent pro Kilowattstunde geschätzt, AKW ohne die Kosten für die Endlagerung auf 19 Cent.

Um ihre Pläne für neue Atomreaktoren trotzdem zu retten, spielt die Atomlobby auch die nationalistische Karte aus. Schließlich ist die Ukraine fast völlig von teurem russischem Gas und Öl abhängig. Aus dieser „nationalen Bedrohung“ könne nur die Atomkraft retten, meinen viele der alten Apparatschiks in den Ministerien. Schließlich baue die Ukraine selbst Uran bei der Stadt Krivoj Rog ab.

Doch auf diesem Gebiet haben die Verfechter von Strom aus Wind und Wasser einige Trümpfe in der Hinterhand. So hat Greenpeace schon vor zwei Jahre aufgelistet, woher die Bauteile für neue Reaktoren stammen, wo das Uran angereichert wird und die Brennstäbe geschmiedet werden: wie schon zu Sowjetzeiten beim großen Nachbarn Rußland nämlich. Ins sibirische Zwischenlager gehen auch alle Behälter mit Strahlenmüll aus der Ukraine.

Hier kommt wieder das bekannteste Massengrab der zivilen Kernkraftnutzung ins Spiel – Tschernobyl: Letzten Sommer veröffentlichte die Zeitschrift Eco-Express Auszüge aus den regierungsinternen „Grundlagen der Behandlung von radioaktivem Abfall in der Ukraine“. 500.000 Kubikmeter sollen demnach in einem ersten Schritt in der gesperrten 30-Kilometer-Zone um den explodierten Reaktor gelagert werden. Noch 1995 hätte laut dem Papier der Bau einer Anlage zur Verarbeitung von Strahlenmüll beginnen können. Das Parlament hat dem einen Riegel vorgeschoben. „Aber innerhalb der Regierung sprechen manche schon wieder davon“, so Andrej Glasavoj.

Genauso ist vom beschlossenen Betriebsende der Tschernobyl-Reaktoren vor Ort nichts zu bemerken. 15.000 Menschen arbeiten offiziell in der Zone. Sie steuern und warten nicht nur die zwei stromliefernden Meiler I und III und überwachen den Sarkophag von Nummer IV. Auch der Reaktor II wird weiter renoviert. Seine Pumpen hatten im Oktober 1991 das Dach der Maschinenhalle zerbeult. Es war bei einem Brand komplett herabgestürzt. Der Reaktor konnte damals nach Aussagen von Ingenieuren nur mit den Kühlmittelpumpen der Hauptpumpen notdürftig im Zaum gehalten werden. „Im nächsten Jahr soll wohl die Nummer II wieder ans Netz“, meint ungerührt ein Ingenieur, der im Block III die Turbinen überwacht. „Das könnte klappen, die Jungs nebenan sind schon ziemlich weit.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen