: Krieg und andere Alpträume
Ein Überblick über neuere, ins Deutsche übersetzte Literatur des Libanon. Vor allem Frauen reflektieren den gesellschaftlichen Wandel des Landes zwischen Bürgerkrieg und Neuanfang ■ Von Beate Seel
In der libanesischen Literatur, die in den Jahren des Bürgerkriegs spielt, haben sich vor allem Frauen einen Namen gemacht – jedenfalls, was Übersetzungen aus dem Arabischen anbelangt.
In deutscher Sprache liegen gleich zwei Romane von Ghada Samman vor, die eine der bedeutendsten Autorinnen der arabischen Welt ist. Die 1942 geborene Samman arbeitete als Journalistin und Übersetzerin, bis sie in den sechziger Jahren anfing, zu schreiben. „Alptraum in Beirut“ (Lamuv) handelt von einer Schriftstellerin, die wegen der heftigen Kämpfe in ihrem Beiruter Stadtviertel in ihrem Haus festsitzt. In 170 Alpträumen und einem Traum beschreibt sie den Alltag im Krieg und reflektiert zugleich ihr bisheriges Leben und ihr Verhältnis zu einem Freund, der an einer Barrikade erschossen wurde, weil er Christ war.
In „Mit dem Taxi nach Beirut“ (Edition Orient), das erstmals 1974, also ein Jahr vor Beginn des Bürgerkriegs, erschien, erzählt Ghada Samman die Geschichte einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe von fünf Personen, die von der syrischen Hauptstadt Damaskus ein Sammeltaxi nach Beirut nehmen. Jeder verbindet mit dem Reiseziel seine eigenen Träume und Phantasien. Doch die Katastrophen, die in das Leben der einzelnen hineinbrechen, lassen nicht lange auf sich warten – eine düstere Vorahnung dessen, was das Land erwarten sollte.
Wem es keine Mühe macht, Englisch zu lesen, sollte zu „Beirut Blues“ von Hanan al-Shayk (Anchor Books) greifen. Die 1945 geborene ehemalige Journalistin stellt ebenfalls eine junge Frau in den Mittelpunkt ihres Romans. In Briefen an Freunde und Verwandte, aber auch an ihre Stadt und den Krieg, versucht sie ihrem Leben einen Sinn zu geben. Sie beschreibt ihre Entfremdung von jenen, die ins Ausland gegangen sind, aber auch ihr eigenes Schwanken, ihre Sehnsüchte und Lebenslust, und will zugleich die Erinnerung an das Beirut bewahren, das sie vor dem Krieg kannte. Der Roman streift auch die Umschichtung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Zuge des Bürgerkriegs. Zum Beispiel als ein Milizionär, ehemaliger Hausangestellter, die Familie in seinem Panzer rettet. Und der Großvater, auf dessen Landgut die Erzählerin sich vorübergehend in Sicherheit bringt, muß mitansehen wie ehemalige Landarbeiter sein Land besetzten. Sie wollen ins lukrative Drogengeschäft einsteigen und damit eine Machtposition erringen.
Den Libanon der fünfziger und sechziger Jahre ist das Thema zweier weiterer Bücher, die ins Deutsche übersetzt worden sind. Chaled Sijade, 1952 in Tripoli geboren und Professor für Gesellschaftswissenschaften, verbindet in „Freitag. Sonntag – eine Kindheit im Libanon“ (Lenos) die Autobiographie seiner früher Jahre mit der Geschichte seiner Stadt. Er beschreibt ihre Veränderungen. Bei Emiliy Nasrallah, einer 1931 geborenen Schriftstellerin und Journalistin, geht es in „Septembervögel“ (Lenos) um die Ich-Erzählerin Muna, die aus der Enge ihres kleinen Dorfes im Südlibanon ausbrechen möchte.
Wer sich mit der jüngsten politischen Geschichte des Libanon befassen möchte, kann zu dem 1994 erschienen Buch von Volker Perthes mit dem Titel „Der Libanon nach dem Bürgerkrieg“ (Nomos Verlagsgesellschaft) greifen. Nach einem knappen historischen Abriß setzt die Untersuchung mit dem Zerfall der staatlichen Institutionen im Jahre 1988 ein, behandelt dann ausführlich das Friedensabkommen von Taif und die Vorgänge rund um die Parlamentswahlen im Jahre 1992. Das Buch sieht die Perspektiven des Landes recht optimistisch - auch im Rahmen des Nahost-Friedensprozesses. Die Frage der Zukunft der rund 350.000 palästinensischen Flüchtlinge wird dabei nur am Rande gestreift.
An neuen Reiseführern in deutscher Sprache gibt es nur zwei kleine Bändchen, die beide vergangenes Jahr erschienen sind. „Libanon“ aus der Reihe Marco Polo gibt neben den üblichen praktischen Hinweisen und kurzen Beschreibungen der Sehenwürigkeiten auch einige Tips zum Ausgehen. Das „Libanon-Reisehandbuch“ (Stein Verlag) bietet etwas mehr Informationen über Geschichte, Religionen und Politik. Wer kulturhistorisch interessiert ist, dem werden diese beiden Bücher sicher nicht reichen. In diesem Falle kann man aber ohne weiteres auf ältere Literatur zurückgreifen.
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