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Anklänge an muslimische Tonleitern

Unter kroatischer Fahne gerockt: Die Teilnehmer des Berliner Projekts „Bands für Bosnien“ sind nach einigen nervenaufreibenden Mühen heil angekommen und haben auch schon zwei Konzerte hinter sich  ■ Von Thomas Groß

„I did it my way“: Der alte Sinatra-Knaller wurde am vergangenen Dienstag gleich zweimal gespielt in Mostar. Einmal bei der Geburtstagsfete von Hans Koschnick, zugleich seine Abschiedsfeier als EU-Administrator der gespaltenen Stadt: melancholische Piano- Jazz-Atmosphäre in einem frisch renovierten Gebäudekomplex am Rande des in Ruinen liegenden Zentralbezirks. Die andere, mehr an Sid Vicious angelehnte Version kam von Bert'z Rache und ist eine der Zugnummern des „Bands für Bosnien“-Projekts: Berliner Rockgruppen und ein DJ-Team, im Fünferpack mit dem Bus angereist, um Jugendlichen aus Bosnien „ein Stück Normalität zurückzubringen“ (siehe taz vom 1.4.96).

Seither liegt nicht nur eine mehr als 24stündige Anreise hinter den Bands und den paar mitgereisten Berichterstattern, sondern auch ein erster Konzert-Testlauf im nordkroatischen Pula (wo der Krieg keine unmittelbar sichtbaren Spuren hinterlassen hat), des weiteren eine kurzerhand zur Party umfunktionierte nächtliche Überfahrt mit der Fähre von Rijeka gen Süden nach Split und schließlich eine nervenaufreibende Kontrolle an der bosnischen Grenze.

Als der Bus die Stadtgrenze von Mostar erreicht hat, ist es schon fast wieder dunkel, es regnet in Strömen, und der erste Blick auf die Lokalität läßt unsere Stimmung auch nicht gerade emporschnellen. Die kahle Halle in West-Mostar, wo die erste Umsonst- und-drinnen-Show stattfinden soll (die zweite ist für den folgenden Tag im muslimischen Ostteil geplant), wirkt wie der Sadistentraum eines Jugendzentrums: zerschundener Linoleumboden, tropfende Decken, beamtengraue Wände und eine Bühne, die zur Prämierung realsozialistischer Leistungsträger einladen mag, nicht aber zu einem Rockkonzert. Ein rundes Dutzend kroatischer Polizisten füllt die Raumesmitte und empfängt die Delegation aus Berlin mit mißtrauischen Blicken, nur im hinteren Teil der Lokalität, wo das Geschehen allmählich in Zwielicht überzugehen beginnt, haben sich erste einheimische Jugendliche eingefunden. Über der Bühne hängt die kroatische Flagge und läßt wenig Mißverständnisse darüber aufkommen, wie man sich staatlicherseits in West-Mostar Parties so vorstellt.

Angesichts dieser Ausgangslage ist es erstaunlich, was die auf den ersten Blick nicht unbedingt organisiert wirkenden Berliner Musiker in kurzer Zeit auf die Bühne stellen. Klugerweise verzichtet man auf den Anarcho-Plan, die Fahne zu überhängen, baut aber Instrumente und Lightshow so auf, daß sie nicht mehr so mittenmang ins Gesicht sticht. Einige Transparente mit der Aufschrift „Pozor Parti“ (Achtung Party) sorgen für eine gewisse Minimal-Ambience, das DJ-Team hat bereits mit der Beschallung begonnen, die mitgeführte, etwa fußballgroße Disko- Kugel tut im feuchten Halbdunkel ihr Bestes.

Eine bandinterne Beratung ergibt, daß Bert'z Rache, die in Pula am besten ankamen, heute den Einheizer machen müssen: Fun- Punk mit Sesamstraßenhintergrund und deutschen Texten. Die feinere Semantik der Pappmaché- Bürzel à la Ernie und Bert auf den Köpfen der Jungs scheint trotz tapferer Übersetzungsversuche ins Serbokroatische allenfalls als lustiger deutscher Mummenschanz anzukommen, aber die Sprache der drei Akkorde zeitigt erste Pogoversuche von Seiten des mittlerweile doch recht hallenfüllend eingetroffenen Publikums. Vor der Bühne erinnert das meiste an ein mitteleuropäisches Punkkonzert der frühen Achtziger, während drei Reihen weiter 15jährige Mädchen mehr sittsam miteinander schwofen. Der mal deutsch, mal mehr frühjamaikanisch ausgerichtete Raggamuffin von Ragga Tacke und Time Tough kann die Stimmungskurve in etwa halten, doch Zeuge einer Berauschung ausgehungerter bosnischer Jugendlicher durch den Sound des Prenzlbergs werden wir an diesem Mostarer Abend nicht.

Auch nicht, als C. W. Moss, das Berlin-St.Petersburger-Gemeinschaftsprojekt, die Bühne entern. In Anhörung der mit dem Rücken zum Publikum vorgetragenen, von vier Gitarren und einer Flöte angetriebenen Improvisations-Cluster scheidet sich die verbleibende Zuhörerschaft in einen harten Kern, der vor der Bühne ekstatisch zuckt, und eine Abwehrkette im Sicherheitsabstand von 15 Metern, die schweigend und staunend vor soviel Willen zum Sound verharrt.

Das kommende Konzert in Ost- Mostar findet, nachdem das ausgediente Kino „Partizan“ wegen zuviel Regens durch die Granatenlöcher in der Decke als Veranstaltungsort ausfällt, just in den Hallen statt, in denen tags zuvor Hans Koschnick seinen Abschied gefeiert hat: saubere, etwas sterile Räume mit Marmorfußboden, die einen eindrucksvollen Kontrast zur Szenerie von West-Mostar bilden. Allerdings ist dort rundherum das meiste ganz geblieben, während man hier durch die getönten (und nicht zu öffnenden) Doppelglasfenster auf Ruinen blickt. Polizei scheint nicht erschienen, allerdings hocken sie dann alle versammelt und sogar in Kampfanzügen in einem Seitenraum und können, einmal entdeckt, nur durch eine Palette Bier davon abgehalten werden, den Bus nach etwaigen Drogen zu durchsuchen.

Zum Konzert und zur Weltsprache Rock hier zunächst nur soviel: Zwei Bands aus Sarajevo, die eine mehr im Geiste des Punk, die andere mit rockig interpretierten Anklängen an muslimische Tonleitern, lösen ohne größere Mühe Begeisterung aus, von den Berlinern wird vor allem DJ Rolle mit seinen Rastalocken bestaunt, der im Eingangsbereich Platten mixt – „Techno“ ist in Mostar noch weitgehend Novität, und man schaut der neuen Technik auf die Finger. Der Rest des Abends folgt, trotz fehlender Nationalflagge, in etwa der Dramaturgie des Vortags: C. W. Moss sorgen für offene Münder, und Bert'z Rache rotzen mit „My Way“ den Bogen von Sinatra zu Punk zu Deutschland zu Mostar.

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