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Mut zum Prozeß

■ Italien will keinen Schleier über Kriegsverbrechen

Natürlich kann man darüber streiten, ob man einen 83jährigen noch vor Gericht bringen kann – zumal in Italien, wo bis zum höchstrichterlichen Spruch im Durchschnitt acht bis zehn Jahre vergehen. Dennoch hat Italiens Militärrichter im Falle des ehemaligen SS- Mannes Erich Priebke und der Erschießung von 335 Geiseln das einzig Richtige getan: Er ließ keine falsche „Kameradschaft“ mit einem Soldaten zu, der sich nur auf den „Befehl von oben“ beruft, keine Verjährung von Verbrechen gegen die Landkriegsordnung und die Menschenrechte, vor allem aber weder ein übereiltes noch ein verschleppendes Verfahren. Sowohl die Frage nach der – im Militärstrafrecht nicht vorgesehenen – Nebenklage durch die Hinterbliebenen wie auch die nach der Zuständigkeit der militärischen oder der zivilen Gerichte hat er dem obersten Gericht Italiens vorgelegt.

Wenn der Prozeß, vermutlich im Herbst, beginnt, wird also keine Verzögerungstaktik mehr greifen.

Ein bedeutender Schritt, den gerade wir Deutschen würdigen sollten: Italien will, obwohl sicherlich mehr als ein Drittel der Bevölkerung auch gegen Kriegsende noch mit den Deutschen kollaboriert hat, Kriegsverbrechen eben nicht „stillschweigend“ oder mit Hilfe fragwürdiger Sprüche wie „nach so langer Zeit könne man die Wahrheit sowieso nicht mehr ergründen“ beerdigen. Und man sollte auch erwähnen: Selbst die Neofaschisten sehen mehrheitlich mittlerweile Taten wie die Priebkes als Verbrechen an. Das steht bei unseren deutschen Ewiggestrigen noch aus – und mitunter auch bei anderen Politikern, die alles mit „Fehlern“ entschuldigen, die damals „alle Seiten begangen“ hätten.

In gewisser Weise hilft Priebke selbst dabei, seinen Fall weiter zu verfolgen: Voller Kälte und Gefühllosigkeit findet er selbst heute noch kein Wort des wirklichen Bedauerns für die erschossenen Geiseln – ein perfekt funktionierender Scherge, dessen innerer Mechanismus offenbar bis heute intakt ist und der wahrscheinlich, käme er noch einmal in dieselbe Lage, wieder so wie damals, 1944, zur Exekution von Menschen antreten würde, die man aus Ghettos und Krankenhäusern herausgezerrt hat. Bei aller Bereitschaft zum Vergeben – so einem kann man wirklich auch heute noch nichts nachsehen. Werner Raith, Rom

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