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Friedenstaube im lauen Aufwind

■ Gegen „Lex Bundeswehr“ und die Militarisierung der Politik demonstrierten gestern rund 1000 Menschen beim Hamburger Ostermarsch Von Patricia Faller

Weiße Tücher hatten sie sich vor den Mund gebunden, darauf hieß es in roter Schrift: „Zensur“. Doch den Mund wollten sich die 15 jungen AktivistInnen der „Links-Ruck-Jusos“ aus Ottensen nicht verbieten lassen, wie sie auf ihren Plakaten unmißverständlich zum Ausdruck brachten: „Kein Maulkorb für die Friedensbewegung“, forderten sie angesichts des Urteils der Karlsruher Richter und der „Lex Bundeswehr“. Danach muß jeder, der Soldaten – Kurt Tucholsky zitierend – als Mörder bezeichnet oder anders „herabwürdigt“, mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe rechnen.

Zusammen mit rund 1000 GewerkschafterInnen, ChristInnen, Parteimitgliedern und anderen Friedensbewegten gingen die jungen OttenserInnen gestern beim traditionellen Ostermarsch auf die Straße. Außer Friedenstauben flatterten rote Fahnen der Sozialistischen Jugend Deutschlands/Die Falken und PDS-Banner über den OstermärschlerInnen. Ob Kinderwagen oder Fahrräder schiebend, auf Inline-Skates wie ein junger St. Pauli-Fan mit Irokesen-Schnitt, ob im biederen Faltenrock, im naturfarbenen Öko-Woll-Outfit oder im trendigen Hippie- oder Techno-Look – alle hatte die Forderung vereint: „Entmilitarisierung der Politik und abrüsten statt umrüsten“.

Für die 65jährige Lotti Henseleit ist der Ostermarsch nicht nur Tradition, sondern auch ein Mittel, um ihrer Wut und ihrer Trauer Luft zu machen. Dennoch glaubt sie, daß die Proteste wenig Sinn machen: „Viel haben wir nicht erreicht, wenn man sich die Weltlage anschaut“, meint die Friedensaktivistin etwas resigniert. Keinen Ostermarsch hat sie ausgelassen. Etwas wehmütig erinnert sie sich an die Zeiten, als sich die Massen noch mobilisieren ließen. Jetzt würden es von Jahr zu Jahr weniger.

Lühr Henken, vom „Hamburger Forum“, das seit 15 Jahren als harter Kern der Friedensbewegung die Ostermärsche in Hamburg organisiert, sieht das anders: „Wenn es keine Ostermärsche mehr gäbe, dann würden sich diejenigen, denen die Pazifisten schon immer ein Dorn im Auge waren, wie Kohl, Rühe und die Rüstungsindustrie, die Hände reiben.“ In seiner Auftaktrede vor der Hermes-Versicherung in Bahrenfeld forderte er die Bundesregierung auf, den Paragraphen 109b des Strafgesetzbuches über die „Verunglimpfung der Bundeswehr“ zurückzunehmen: „Dieses Gesetz ist nicht nur überflüssig, weil Beleidigungen bereits strafrechtlich verfolgt werden können, sondern vor allem gefährlich, weil es in seiner absichtlichen Offenheit die Meinungsfreiheit einschränkt.“ Die „Hermes-Kreditversicherungs-AG“ hatten die OstermarschiererInnen zum Ausgangspunkt genommen, da diese jährlich mit mehreren Milliarden Mark Rüstungsexporte absichert, wie Hartmut Rink von der Informationsstelle für Rüstungsgeschäfte in Hamburg kritisierte.

Die wirtschaftliche, militärische und politische Unterstützung der türkischen Regierung durch Deutschland prangerte Safiye Fidan von der Frauengruppe Kurdistan Volkshaus bei einem Zwischenstopp vor den Flüchtlingsschiffen in Neumühlen an. Die deutsche Regierung fördere damit die Enteignung und Vertreibung der Kurden.

Nach Ansicht der SPD-Bundestagsabgeordneten Marliese Dobberthien werde das Militär wieder schleichend zum verlängerten Arm der Politik gemacht, indem via Medien Truppeneinsätze als einzige friedensstiftende Mittel verkauft würden. Daß dieselben Despoten, die dabei bekämpft werden sollen, vorher jahrelang mit westlichem Geld und westlichen Waffen unterstützt worden seien, sagte sie bei der Abschlußkundgebung an den Landungsbrücken, werde dabei verschwiegen.

ElbspaziergängerInnen aber nahmen gestern statt mahnender Worte lieber eine Osterglocke, die die DemonstrantInnen zu Tausenden verteilten, mit nach Hause.

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