: „Nicht-Papier“ stört Koalitionsfrieden
■ Wirtschaftsressort greift ISP-Kompromiß an / Soll der Großmarkt in die Hemelinger Marsch?
Ein Din-A4-Blatt Papier machte kurz vor Ostern bei den Spitzenbeamten der Senatsressorts die Runde: für außenstehende unverständliche Zahlenkolonnen, unter dem Strich 4,7 Milliarden Mark. „Ein Angriff auf die Koalitionsvereinbarung“, sagt ein Bremer Staatsrat. Keine Erläuterung ist auf dem Zettel, keine Absenderangabe, keine Erklärung, für wen das Blatt bestimmt sei. Und woher es kommt. Wer offiziell bei den Pressestellen nachfragt, bekommt zur Antwort: „So etwas gibt es nicht.“ Ein klassisches „Nicht-Papier.“
Die Zahlenkolonnen dokumentieren, wie im November 1995 im Senat nach mühseligen Verhandlungen die Milliarden des Investitions-Sonder-Programms (ISP) aufgeteilt wurden. 900 Millionen sollten bis zum Jahre 2004 für den Ausbau der Forschungs-Infrastruktur und der Wissenschaftseinrichtungen ausgegeben werden, 500 Millionen für den Hemelinger Tunnel, 400 Millionen für den Fischereihafen in Bremerhaven – und so weiter. Über 1,6 Milliarden sollte der Wirtschaftssenator frei verfügen können als „Aufstockung“ seiner normalen Investitionsmittel, genannt „Wirtschafts-Aktions-Programm“, kurz WAP.
Neu in der Liste ist vor allem eine rechts angefügte Spalte: „Projektvorschläge“. Nur wer die Systematik der Geldverteilung kennt, merkt den Sprengsatz, der in dieser Spalte steckt: „Space Park“ steht da ganz harmlos auf der Linie, auf der bisher 100 Millionen für Projekte des Stadtentwicklungs-Senators stehen. „Großmarktverlagerung“ dort, wo bisher der Häfensenator 100 Millionen für seine Projekte zur Verfügung hatte. Beim Hemelinger Tunnel ist rechts schlicht „150 Mio DM Messehalle“ angefügt, bei der Straßenbahnlinie 4 „Trasse durch das Hollerland“, ohne Millionen-Angaben.
Die „Projektvorschläge“ sind die Projekte, die bisher aus dem WAP-Investitions-Etat des Wirtschaftssenators finanziert werden sollten. Oder die nicht vorgesehen waren wie die Trasse durch das Naturschutzgebiet. Der Wirtschaftssenator, so muß sein „Nicht-Papier“ gelesen werden, will „seine“ Projekte auf Kosten der anderen Ressorts finanzieren. Ein Kernpunkt der Koalitionsvereinbarung, daß nämlich dezentral über die Investitionsmittel verfügt werden sollte, ist damit infrage gestellt.
Zum Beispiel Messehallen: Wenn der Hemelinger Tunnel 150 Millionen Mark „billiger“ werden sollte als im vergangenen Jahr angenommen, dann bleibt nach der im Senat beschlossenen Verfahrensweise das Geld im Topf des Bausenators oder könnte eventuell für eine Senkung der Bremer Staatsverschuldung verwendet werden. Wenn mit diesen möglicherweise „gesparten“ 150 Millionen die Messehallen finanziert werden sollen, dann ist erstens das Geld weg, und zweitens hat der Wirtschaftssenator in seinem Topf etwas zur freien Verfügung übrig.
Beispiel „Space Park“: Für diese Idee, für die seit zwei Jahren vergeblich ein privater Investor gesucht wird, soll nun der Topf geplündert werden, der bisher für diverse kleinere Projekte der Stadtentwicklung vorgesehen war, darunter der „Promotion-Park“ am Bahnhof, die Sanierung des Neustädter Bahnhofs-Bereiches und des ehemaligen TÜV-Geländes in Hastedt für neue Gewerbeansiedlung oder Maßnahmen im Rahmen des Konzeptes „Stadt am Fluß“.
Besonders das kleine Wort „Großmarktverlagerung“ läßt senatsintern die Gemüter aufschäumen: Ganz harmlos steht es in dem „Nicht-Papier“ ganz rechts auf der Linie, auf der links die Projekte des Häfensenators angesiedelt sind. Die Großmarktverlagerung ist eigentlich ein Projekt des Wirtschaftssenators, der neue Flächen am Flughafen freibekommen will. Daß es nun aus dem Häfen-Topf bezahlt werden soll, hat einen schlichten Hintergrund: Ein Planungs-Unternehmen hat den Auftrag, zu prüfen, ob der Großmarkt auf dem zuzuschüttenden Gebiet des derzeitigen Überseehafens angesiedelt werden könnte. Das wiederum wird aber nicht laut gesagt: Der Überseehafen wird für viel Geld aus dem Topf des Häfensenators zugeschüttet, um Platz für hafennahe Gewerbebetriebe zu schaffen. „Großmarkt? Kommt nicht infrage“, heißt es denn auch dort.
Die andere Alternative, die offiziell im Prüfauftrag steht, ist noch brisanter: Hemelinger Marsch heißt der Favorit des Wirtschaftsressorts für den Großmarkt. Dieses Gelände stünde schneller als der Überseehafen und mit weniger Aufwand zur Verfügung, ist verkehrstechnisch optimal angebunden. Die Idee hat nur einen Haken: Nur mit der großspurigen Ankündigung, hier einen „Umwelttechnologie-Park“ entstehen zu lassen, nur mit der Behauptung, Bremen müsse für hochwertige Firmen, die sonst nach Achim gehen, am Autobahnkreuz neue Gewerbeflächen anbieten, hat das Wirtschaftsressort durchsetzen können, daß die Marsch plattgemacht wird. K.W.
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