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Gruppenfoto mit Hitlergruß

■ Polnische Neonazis marschieren im früheren KZ Auschwitz zu genehmigter Demonstration auf. Die Polizei sieht zu

Oswiecim (taz) – Die jüdisch- niederländischen Besucher der Gedenkstätte Auschwitz trauten am Samstagmorgen ihren Augen nicht. Eine Gruppe von rund 100 kahlrasierten Skinheads marschierte direkt auf sie zu. Schweigend und im Gleichschritt. Im Wind flatterten polnische Nationalfahnen. „Ich verstehe das nicht“, stammelte eine junge Frau fassungslos. „Was wollen die hier?“ In Dreierreihen zog die Neonazi-Truppe durch das Eingangstor des Konzentrationslagers, unter der Aufschrift „Arbeit macht frei“ hindurch, an mehreren ehemaligen Häftlingsbaracken vorbei und stoppte erst vor der Todesmauer.

Hier hatte die SS in den Jahren 1940 bis 1945 sogenannte „politische Gefangene“ erschossen, in erster Linie Polen. Ein 16jähriger, in dessen lederne Bomberjacke weiße Runenzeichen geritzt waren, legte einen Kranz nieder, die Gruppe machte kehrt und marschierte schweigend an den erstarrten Besuchern vorbei.

Erst vor dem ehemaligen KZ, dem sogenannten Stammlager Auschwitz, entrollten die 16- bis 18jährigen ihre Transparente: „Juden raus aus der Regierung! Wir rechnen mit euch Verbrechern ab“. „Schluß mit dem Ausverkauf des Landes!“, „Polen – nur von Polen regiert“. Die Polizei griff nicht ein. Auch dann nicht, als sich die mit Bomberjacken, Springerstiefeln und Armeehosen angetanen Neonazis zum Gruppenfoto vor dem ehemaligen KZ aufstellten und minutenlang mit Hitlergruß posierten.

Die Demonstration der rechtsradikalen Splittergruppe Polnische Nationale Gemeinschaft war ausdrücklich vom Verwaltungschef des Bezirks Bielsko-Biala, Marek Trombski, genehmigt worden mit der Begründung, für ein Verbot fehle die rechtliche Grundlage. Demgegenüber hatte der Bürgermeister der Stadt Auschwitz die Kundgebung zunächst untersagt. Ohne Erfolg protestiert hatte auch Jerzy Wroblewski, der Direktor der Gedenkstätte Auschwitz.

„Auf eine solche Solidaritätsbekundung kann ich verzichten“, meinte Janusz Marszalek, der Bauherr eines Supermarktes, der erst vor kurzem in die Schlagzeilen der internationalen Presse geraten war. Vor gut zwei Wochen hatte er die Umbauarbeiten für ein Einkaufszentrum direkt gegenüber dem ehemaligen KZ einstellen müssen, da der internationale Protest die Regierung Polens bewogen hatte, die Baugenehmigung zurückzuziehen.

Vom Mord an Juden in Birkenau kein Wort

Die erste Reaktion auf den Neonazi-Aufmarsch kam bereits am Sonntag aus Frankreich. Die Demonstration von Rechtsradikalen in und vor Auschwitz sei eine „Provokation“. Die polnischen Behörden müßten Neonazi-Kundgebungen verbieten, die einen Ort schändeten, der dem „Schweigen und der Erinnerung gewidmet“ sei, erklärte der Zusammenschluß der jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF).

Vor dem Stammlager, in dem die Nazis bis zu 90.000 nichtjüdische Polen umgebracht hatten, formierte sich die Gruppe wieder neu und marschierte mit ihren antisemitischen Transparenten zum drei Kilometer entfernten Vernichtungslager Auschwitz II Birkenau. Dort hatten die Nazis über eine Million Juden ermordet. Heute stehen hier nur noch die Gleisanlagen, die Rampe, an der die Juden nach „arbeitsfähig“ und „nicht arbeitsfähig“ selektiert wurden, einige Holzbaracken und ein antifaschistisches Denkmal aus dem Jahre 1967, das den „Helden von Auschwitz“ gewidmet ist, die hier – so die Aufschrift – „gegen den hitlerischen Völkermord kämpften, für die Freiheit und Würde des Menschen, für Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern“.

Der „Grundwald-Orden I. Klasse“, der dieses Denkmal gemeinsam mit dem Staatsrat der Volksrepublik Polen gestiftet hat, erwähnt mit keinem Wort, daß in Birkenau Juden ermordet wurden. Die kommunistische Propaganda hatte Auschwitz zu einem Ort rein polnischen Leidens erklärt. Vor diesem Denkmal legten die jugendlichen Neonazis einen zweiten Kranz nieder.

Vor dem ehemaligen Lager log Boleslaw Tejkowski (62) den jugendlichen Skinheads vor: „Es ist eine historische Tatsache, daß in Auschwitz 800.000 Polen und 500.000 Juden umgekommen sind“. Die Deutschen, so der wegen Volksverhetzuung vorbestrafte Chef der Polnischen Nationalpartei, hätten die Polen vor 50 Jahren physisch ermordet, jetzt täten sie dies geistig und materiell.

Die Demonstration richte sich gleichermaßen gegen die deutschen wie jüdischen Chauvinisten und Imperialisten. „Die Juden haben kein Recht, die Geschichte des Lagers Auschwitz zu fälschen“, brüllte die Stimme Jan Bartulas, des örtlichen Chefs der Polnischen Nationalpartei, aus dem Megaphon: „Wir werden es nicht zulassen, daß die Juden weiterhin diesen größten Friedhof der Welt entehren! Dies ist der heilige Ort von uns Katholiken!“ Die polnische Regierung zog es zunächst einmal vor, sich zu der antisemitischen Kundgebung in Auschwitz nicht zu äußern. Eine offizielle Reaktion aus Warschau lag bis gestern mittag noch nicht vor. Gabriele Lesser

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