Polizist, Ordensritter und Mafioso

■ Palermos Ex-Mordkommissionschef muß hinter Gitter

Palermo (taz) – Den grauhaarigen Kopf ungläubig schüttelnd nimmt Bruno Contrada (64) das Urteil des Schwurgerichts Palermo hin: Zehn Jahre Gefängnis für die Begünstigung mafioser Vereinigungen sowie Verrat von Dienstgeheimnissen und Strafvereitelung. Das Gericht sah all das nach zwei Jahren Verhandlung als bewiesen an und verhängte gleich noch drei weitere Jahre „Sonderüberwachung“, während der sich Contrada regelmäßig bei der Polizei melden muß und keine öffentlichen Ämter übernehmen darf.

Nahezu ein Dutzend Aussteiger aus verschiedenen Mafia-Clans sagten vor Gericht gegen Contrada aus. Der gebürtige Neapolitaner war Anfang der sechziger Jahre als Polizist nach Palermo gekommen und dort in die Hände der Mafia geraten – möglicherweise aus Angst, nachdem man ihm einen seiner beiden Stellvertreter wegversetzt hatte, und nachdem der andere, Boris Giuliano, 1979 ermordet worden war. Daß die Mörder lange Zeit straffrei blieben und erst vor wenigen Wochen verurteilt werden konnten, rechnen die Richter Contrada zu: Er soll sie gedeckt haben. Desweiteren habe er Razzien verraten und dabei auch die ständige Flucht des erst nach zwanzig Jahren wieder gefaßten Oberhaupts aller Cosa-Nostra- Clans, Toto Riina, begünstigt. Contrada hält all das für eine „Rache der Mafia wegen meiner effizienten Ermittlungsmethoden“ oder, ersatzweise, für eine „Intrige seitens der derzeitigen Polizeiführung“.

Als ihn die Staatsanwälte 1992 verhaften ließen, war Contrada weit in der Beamtenhierarchie aufgestiegen: erst Chef der Mordkommission, dann Hauptabteilungsleiter im zivilen Geheimdienst Sisde und als solcher Verbindungsmann zu den Behörden Palermos – was er laut Urteil weiter zur Deckung von Mafiosi benutzte. Tatsächlich belegen viele Dokumente, daß er seine Nase auch in Vorgänge hineinsteckte, die ihn amtlich gar nichts angingen, wohl aber den Geschäften der „ehrenwerten Gesellschaft“ nutzen konnten.

Besonders akribisch hatten die Ankläger sich der Frage gewidmet, auf welchen Wegen sich die Mafia Contrada angenähert hatte. Die Rekonstruktion dieser Aktionen bringt nun eine Reihe anderer Gruppen auch außerhalb der Mafia in höchste Schwierigkeiten. Tatsächlich hatten sich die Kungeleien Contradas mit hohen Mafiabossen nach Ermittlungserkenntnissen anfangs im Rahmen einer höchst frommen und unverdächtigen Institution angebahnt: dem „Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem“. Diese auch in Deutschland aktive Vereinigung besteht offiziell aus hochprozentigen Katholiken mit kräftiger Kreuzzugsmentalität. Die meisten Mitglieder sind Industriebosse oder stammen aus der Politik und des hohen Beamtentums. In Sizilien wurde diese Vereinigung jahrzehntelang von höchst schillernden Persönlichkeiten geführt: Der weltliche Leiter der dortigen Sektion, Graf Cassina, wurde bereits wegen mafioser Bandenbildung verurteilt.

Ganz besonders beunruhigt ist derzeit ein altgedienter Ordensritter der Sektion Mittelitalien: Giulio Andreotti. Der siebenfache Ministerpräsident steht in Palermo ebenfalls wegen mafioser Bandenbildung vor Gericht – demselben, durch das Contrada verurteilt wurde. Werner Raith