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Endlich konkrete Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt -betr.: "Natürlich überweisen wir auch an Frauenprojekte", taz vom 30./31.3.1996

Betr.: „Natürlich überweisen wir auch an Frauenprojekte“, taz vom 30./31.3.

Wie schön, nach vielen unerträglich frauenfeindlichen taz-Artikeln der letzten Zeit mal was Konstruktives zu lesen. Anmerken möchte ich noch:

Zehn Jahre Selbsthilfebewegung gegen sexuelle Gewalt hat unter anderem dazu geführt, daß vermehrt Frauen offensiv in Arztpraxen und Therapiezimmern sexuelle Gewalterfahrungen als Ursache ihrer Symptome benennen. Sehr oft scheitert die erfolgreiche Behandlung nicht am „Widerstand der Patientin“ (wie in dem Artikel beschrieben), sondern am Widerstand der MedizinierInnen, sich mit dem Thema sexuelle Gewalt auseinanderzusetzen.

Sehr häufig erleben traumatisierte Frauen, daß ihrer Wahrnehmung nicht geglaubt und die Auseinandersetzung mit den Ursachen ihrer „Krankheit“ durch ärztlich verordnete Medikamente (insbesondere Psychopharmaka) „ruhiggestellt“ wird.

Gerade für schwer traumatisierte (z.B. Multiple) Frauen ist es unendlich schwierig, ÄrztInnen zu finden, die ihre Lebensrealität anerkennen und menschlich sowie medizinisch damit umgehen können (bzw. es zu lernen bereit sind). Es ist kein Wunder, daß Frauen wieder lernen zu schweigen, um neue Verletzungen zu vermeiden.

Ich habe seit drei Jahren keine Arztpraxis mehr betreten, weil ich es satt hatte, immer wieder (meist erfolglos) erklären zu müssen, daß mein Körper so und nicht anders reagiert und daß das Folgen sexueller Gewalt sind.

Bleibt zu hoffen, daß die Bremer Fortbildungsreihe hier was bewegt und weitere folgen. Dennoch ist unsere Forderung seit zehn Jahren: Sexuelle Gewalt und ihre Folgen müssen Pflichtthema jeder psychologischen, medizinischen und pädagogischen Ausbildung werden.

Ein Skandal ist die Tatsache, daß Frauenprojekte wie das Bremer Frauentherapiezentrum, die seit Jahren erfolgreich, parteilich und kompetent sexuell traumatisierte Frauen unterstützen, nun keine öffentlichen Gelder mehr bekommen und deshalb den größten Teil ihrer Angebote einstellen müssen. Es nützt leider wenig, „natürlich auch an die Frauenprojekte zu überweisen“, wenn denen die Arbeitsgrundlage entzogen wird. Letzteres hat nichts mit Kostensenkung zu tun, sondern im Gegenteil mit Kostensteigerung. Teure und leidvolle „Patientinnenkarrieren“ sexuell traumatisierter Frauen durch jahrelange Fehlbehandlungen werden so gefördert.

Auf eure Frage „Was kann gegen die Fehlbehandlung sexuell mißbrauchter Frauen getan werden?“ bleibt zu ergänzen (auch das größtenteils zehn Jahre alte Forderungen!): kostenlose unbürokratische Alltagshilfen, Therapie- und Krisenzentren für Frauen mit sexueller Gewalterfahrung, Anerkennung der Kompetenz der Selbsthilfe (nicht nur durch die Krankenkassen!) und mehr Öffentlichkeit für Selbsthilfefrauen (ohne im Bild-Zeitungs-Stil auf die Opferrolle reduziert zu werden). und vor allem: endlich konkrete Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt!

Claudia Igney, Landwirtin, Selbsthilfefrau, Morsum

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