Macht auf Gefühlswegen

■ Wiederaufnahme von del Monacos Tosca-Inszenierung

Der Mensch auf der Suche nach der Wahrheit wirft stets seinen eigenen Schatten auf das Licht der Erkenntnis und verwischt das Bild damit, manchmal bis zur Selbsttäuschung. In der Inszenierung von Giancarlo del Monacos Tosca, die am Freitag nach dreijähriger Pause an der Staatsoper wiederaufgeführt wurde, weist der Stoff in diesem Sinne über die menschlichen Leidenschaften hinaus. Machtsysteme beherrschen die Gefühlswege und erzeugen Lust und Verlust. Das mittelalterliche Kreuz der Erlösung zerfällt schließlich als Schafott auf den Boden eines neuen, auswegslosen Gewaltapparates.

Drastischer, als es del Monacos Inszenierung zeigt, kann man kaum illustrieren, daß keiner den Täuschungen des Systems entkommt, in dem man gefangen ist. Und daßdie Gefühle im öffentlichen Raum zu Fallen werden. Eifersüchtig ihren Maler Mario liebend, fällt Tosca auf die Intrige des Machthabers Scarpia herein, der sie mit scheinbaren Beweisstücken eines Liebesverrats von Mario dazu bringt, ihn zu dessen Versteck zu führen.

Del Monacos Inszenierung vollzieht die Täuschung und Ent-Täuschung der Gefühle vor einem militärisch-sterilen Hintergrund. Auf der von Ben Willikens gestalteten Bühne frieren die Charaktere in dem kalt aufgehenden Licht der zukünftigen Macht. Die musikalische Dichte von Puccinis Oper entfächert sich zu einem hochdramatischen Spannungsbogen, den die drei Hauptfiguren – klar gegeneinander abgegrenzt – gemeinsam erhalten. Sherrill Milnes entblößt in faszinierender gesanglicher und mimischer Attraktion die Lust, die Scarpia aus der Erotik der Macht bezieht. Richard Margison adelt mit seiner Interpretation der Arien des Widerständlers Mario Caravadossis den Glauben des Menschen an die Liebe. Ihm gelingt die Übertragung der Harmonie der Unschuld, die in der Hölle zur Harmonie der Verzweiflung wird.

Und Adriana Morelli schließlich verkörpert dazwischen die empfindsam getäuschte Kreatur - Tosca. In den höchsten Lagen der Verzweiflung enden ihre hoffnungsvollen Harmonien. Die Erkenntnis ihrer Täuschung setzt sich über das menschliche Maß hinaus fort. Der Morgen bringt das Grauen, nicht das Licht. Der Apparat hat funktioniert. In del Monacos Schlußszene stürzt sich Tosca nicht in die Tiefe, sondern wird vom göttlichen Blitz getroffen. Wohin sollte der Mensch auch stürzen, wenn die Welt kopf steht? Elsa Freese