: Mißstände im Psycho-Knast
■ Patient prangert Gesetzesverstöße in Ochsenzoll an / Scheintherapie statt Hilfe? / Strafanzeigen gestellt / Psychiatrie-Chef schweigt Von Kaija Kutter
Das 13seitige Dossier, das Thomas Holst an Staatsanwaltschaft, Bürgerschaft und Medien verschickt hat, liest sich sachlich und kompetent. Ein Eindruck, den ein Gefangener der geschlossenen Psychiatrie in Ochsenzoll wohl erzeugen muß, um die minimale Chance auf Gehör zu erhöhen. „Wir haben die Emotionen rausgelassen“, sagte Holst gestern am Telefon. Und zugleich: „Ich habe furchtbare Angst“. Denn wer in „Haus 18“ in Ochsenzoll seine Rechte einklagt, habe mit „gravierenden Repressalien“ zu rechnen.
„Wir“, das seien mehrere Patienten der 60-Betten-Einrichtung, die durch eine hohe rote Mauer vom übrigen Krankenhaus getrennt ist. Bei einer parallel erstatteten Strafanzeige habe er der Staatsanwaltschaft zwölf Zeugen benannt.
Die 60er und 70er Jahre, in denen psychisch kranke Kriminelle unter schlimmen Bedingungen weggeschlossen wurden, sind vorbei. Seit 1989 gibt es für Hamburg ein „Maßregelvollzugsgesetz“ (MRVG), das diesen Patienten Rechte zusichert. Doch mit der Verwirklichung ist es laut Holst nicht weit her. Der studierte Grafiker, im Vorjahr wegen Mordes verurteilt, klagt in neun Punkten Verstöße gegen dieses Gesetz ein.
Er selbst sei seit einem halben Jahr in Ochsenzoll und dränge auf eine Therapie, um seine Taten zu verarbeiten. Doch es gebe keinen Therapieplan, wie ihn Paragraph 7 des MRVG vorschreibt. Ein solcher Plan, der zu Beginn des Vollzuges mit dem Patienten erörtert werden muß, sei immens wichtig, da er es ermögliche, Fortschritte und Rückschläge richtig einzuschätzen. Auch wenn es für Ärzte „lästige bürokratische Pflicht“ sei, für Patienten enthalte er „Meilensteine auf dem Weg zur Freiheit“. Denn im Unterschied zum Knast gilt es in der Psychiatrie keine festgelegte Höchstzahl an Jahren abzusitzen. Wann jemand „gesund“ ist, liegt in der Hand der Ärzte. Es sei leider „gängige Praxis“, so Holst, daß Patienten, die ihre Rechte kennen und einfordern, mit einem längeren Aufenthalt zu rechnen haben.
Die Art der Behandlung in „Haus 18“ bezeichnet Holst als „Scheintherapie“. So gehe die Therapie für die Mehrzahl der Insassen über ein 50minütiges Gespräch pro Woche nicht hinaus. Die Behandlung durch aushäusige Psychologen werde abgelehnt. Laut Paragraph 10 des MRVG sind abstumpfende und unproduktive Arbeiten unzulässig. Doch die „Arbeitstherapie“ in „Haus 18“, so Holst, erschöpfe sich in „Nägel in Schellen drücken, Krankenhaussachen falten oder Mutter auf Schrauben drehen.“ Den Rest der Zeit würden die Patienten „sich selbst überlassen“. Auch die vorgeschriebene Fortbildung zur späteren beruflichen Integration fände nicht statt.
Besonders kraß sei dies auf der „Station 1“, die eigentlich für Neuankömmlinge zuständig ist, in der aber akut kranke Patienten untergebracht sind. Dort werden alle Gegenstände aus Glas und Metall weggeschlossen, die überwiegende Zahl der Menschen lebt in Vier-Bett-Zimmern ohne Privatsphäre. Die Frage, wer wie schnell auf die komfortablere Wohnstation verlegt wird, so Holst, werde zum Instrumentarium der Repression. So würden auch Patienten zur Strafe dorthin zurückverlegt. Holst: „Auch wenn die Ärzte dies nicht als Strafe bezeichnen würden, da ihnen eine Unmenge an argumentativen Möglichkeiten zur Verfügung steht“.
Für Patienten, die nur an einer latent psychischen Störung leiden – Holst spricht von sich und zwei Mitpatienten – berge dieser Aufenthalt eine „Fülle von Repressalien“. So sind sie vom täglichen einstündigen Hofgang ausgeschlossen. Auch seien sie „erheblicher Aggression“ und körperlichen Übergriffen der akut kranken Mitpatienten ausgeliefert. Holst: „Hier müßte es dringend eine Trennung geben“.
Ein Exemplar des Holst-Dossiers ging an Klaus Böhme, den Chef der Ochsenzoller Psychiatrie. Er wolle sich nicht äußern, habe aber das Papier an die parlamentarische Aufsichtskommission für die Psychiatrie sofort weitergeleitet, sagte er zur taz. Jene Kommission, zu der Holst nicht viel Zutrauen hat, weil „die Herrschaften mit der Hausleitung Tennis spielen“.
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