: Wo bleibt der Säbelschnäbler?
■ Selbst wenn für 110 Hektar „Fast-Biotop“ an anderer Stelle 373 Hektar Ausgleichsfläche für 40 Millionen Mark entstehen, „ist das kein echterErsatz“.
Die Großbaustelle an der Wesermündung kam 1992. Große Kräne begannen, das Weserufer nördlich des bisherigen Bremerhavener Wilhelm-Kaisen-Terminals anzunagen. Auf 700 Meter Länge wurde Uferschlick weggebaggert, in dicken Leitungen Sand angeschwemmt, Spundwände gerammt – 110 Hektar „biotop-ähnliches Gelände“, 80 davon direkt imContainerterminal CT 3, bekamen ein Stahl-Beton-Korsett.
Erst kurz vor dem paar-hundertSeelen-Dorf Weddewarden (siehe Überblickskizze Kasten) kamen die Bagger zum Stillstand. „Die Weddewardener haben dann vor Gericht eine Lärmschutzwand erstritten“, sagt Hans-Werner Blank. Er ist der Chef der dreiköpfigen Planungsgruppe im Bremer Umweltressort, die die Wiedergutmachung von Schäden an der Natur abwickelt. Das heißt: hier wird der Verlust an ökologischer Vielfalt bilanziert und später in „Ersatzmaßnahmen“ umgerechnet. Ein Treiben, das „ökologische Hardliner“ lächerlich nennen, sagt Blanks Kollegin Petra Nolting. „Die sagen, man kann die Natur nicht einfach hier kaputt machen, und dort neu erschaffen.“ Doch wenigstens einen Ausgleich sieht das Naturschutzgesetz vor – und danach arbeite man „auf streng gesetzlicher Grundlage“, betonen die hauptberuflichen Bremer Umweltschützer. „Alle unsere Maßnahmen wurden vor Gericht bestätigt“, sagen sie. Allzu oft werden sie nämlich gefragt, ob man die Natur nicht auch weniger teuerentschädigen könnte.
„Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen“, sagt beispielsweise Gerd Markus, Staatsrat im Häfenressort. Im Umweltressort lacht man über solche Sprüche ein wenig bitter: „Der richtet doch mit seinem Bauprojekt den Schaden an.“ Es gelte doch das Verursacherprinzip – nicht der Naturschutz bestelle hier „die Musik“.
Dennoch, nach Markus' Einschätzung spielt die Combo ein wenig zu ausgiebig: „Das Problem ist doch, daß es keine gesetzlich normierten Vorgaben für Ersatzmaßnahmen gibt“, sagt er, dadurch komme es zu hohen Kosten. Auch da widersprechen die amtlichen UmweltschützerInnen – allerdings weniger entschieden. Wenn sie auch komplexes Leben auf den 110 Hektar großen Fläche, die das Containerterminal beansprucht, mühelos in drei verschiedene „Hauptfunktionen“ zerlegen, so unterschlagen sie dennoch nicht die Unberechenbarkeit natürlicher Prozesse.
So nüchtern es beispielsweise klingt, daß ein Vogelrastplatz wieder herzustellen, der knollige Fuchsschwanz und die Meerstrandsimse umzusiedeln und neue Überschwemmungsgebiete für den Fluß zu schaffen seien – in der Praxis gelingt das nicht so einfach. Außerdem mangele es im Naturschutz tatsächlich an Erfahrung. „Jedes Fleckchen Erde ist doch anders.“ Erschwerend komme hinzu, daß taugliche Ersatzflächen, die die zerstörten „Funktionen“ für Vögel und Pflanzen ersetzen könnten, entlang der Weser gar nicht so einfach auszumachen sind – geschweige denn zu erwerben. Dafür wurden rund 22 Millionen Mark, an private Landbesitzer, Kommunen, und das Land Niedersachsen gezahlt; 13 Millionen Mark mehr als veranschlagt.
Der knollige Fuchsschwanz, äußerlich eher ein unscheinbares Gras, ist auf solch ein gekauftes Grundstück in den Süden, aufs „Neue Pfand“ umgezogen. Weil er nur noch an ganz wenigen Stellen an der norddeutschen Küste vorkommt, steht er heute auf der roten Liste der bedrohten Pflanzenarten. Mehr oder weniger zufällig: Daß er hier nämlich überhaupt herkam, ist Seeleuten zu verdanken, die ihre ausgedienten Seegrasmatrazen früher einfach über Bord warfen. Ans jetzige Containerterminal 3 angeschwemmt, muß er sich daraus versamt haben. Doch das Fleckchen, wo er zu Hause war, wurde in der Zwischenzeit unzählige Male von Bulldozern überrollt. Ebbe und Flut, die der knollige Fuchsschwanz zum Überleben braucht, werden von der neuen Spundwand abgehalten. Seine Evakuierung gehörte zu den ersten Naturschutzmaßnahmen - glücklicherweise.
Schon nach dem ersten Jahr prächtigen Gedeihens am neuen Standort war nämlich plötzlich alles vorbei. „Warum er da verkümmerte, wissen wir einfach nicht“, sagen die LandschaftsplanerInnen im Umweltressort, die die Ausgleichsgebiete wie ihre Westentasche kennen. Erst eine nächste evakuierte Fuchsschwanz-Generation im zweiten Jahr schaffte das Überleben. Doppelte, ungeplante Handarbeit, mit der das Ausstechen und Verpflanzen der knolligen Fuchsschwänzchen besorgt wurde, war die Voraussetzung.
Verglichen damit war es ein Kinderspiel, die 34 Hektar Land vor Weddewarden anzulegen, die der Meerstrandsimse den Umzug mit Erfolg schmackhaft machte. Zuvor hatten Bulldozer das Gelände entsiegelt und statt der Teerstraße teure, löchrige Betonsteine eingebaut. „Darüber, daß solche Arbeiten mit schweren Maschinen gemacht werden, beschweren sich dann Naturfreunde bei uns“, seufzt Blanke. Wie man es auch mache, meist hagele es Kritik.
Am kritischsten sind die Vögel. Der Säbelschnäbler beispielsweise, dem man eigens 800 Meter Küste sorgsam abflachte, damit er auch aus dem Wasser heraus gemütlich übers Land blicken kann, gab sich bis heute wählerisch - und kam einfach nicht zum neuen Rastplatz. Ebenso die Rotschenkel. „Möglich, daß die hier noch seltener werden.“ Daß dafür jetzt Blaukehlchen und Schilfrohrsänger im neu angebauten Röhrichtgürtel vor dem renaturierten Hochwasserrastplatz brüten, ist NaturschützerInnen ein Trost.
Sollten allerdings eines Tages die Gerüchte um ein Containerterminal 4 wahr werden, das Bürgermeister Henning Scherf just für die Küste vor Weddewarden herbeiredete, dann würden nicht nur gerade entstandene, teure Ersatzmaßnahmen planiert. „Dann würde die Gewerbefläche direkt am Nationalpark Wattenmeer enden.“ Für Umweltschützer ist das eine Horrorvision, deren Rechtmäßigkeit noch überprüft werden muß. Für Weddewarden wäre es das Aus.
Wer die Flächen zusammenrechnet, die als Ersatz für die CT III-Fläche zu Ausgleichflächen deklariert wurden, kommt auf insgesamt 373 Hektar Land. Weddewarden Außendeich, Spülfeld am Neuen Lunesiel, Außendeich Erdmannssiel, Binnendeichsfläche Luneplate und 236 Hektar Überflutungsfläche an der Tegeler Plate, für die auch ein alter Bauernhof weichen mußte - war das nicht eigentlich ein guter Tausch? Diese Frage drängt sich angesichts ausgegebener 40 Millionen Naturschutzmark auf - doch Umweltschützer finden sie völlig falsch. „Sie müssen das so sehen: Die Erde bleibt immer gleich groß“, sagt Blank. Die naturschützerischen Maßnahmen seien nur auf ein Gelände „aufgestockt“, das schon ökologisch wertvoll war.
Für Hund und Herrchen sind diese Zonen nun tabu. Raffiniert vertiefte Gräben halten die beiden künftig vom knolligen Fuchsschwanz fern. Zum Ausgleich gibt es dafür ein paar Ferngläser bei Weddewarden (jetzt schon) und große Schilder (demnächst), die SpaziergängerInnen die Natur erklären sollen. Eva Rhode
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