: „Vulkan war ein echter Schock für uns“
■ EU-Kommissar van Miert will keine Vorzugsbehandlung für Ostdeutschland mehr
Brüssel (taz) – Ein Sozialist hütet Europas Wettbewerbsordnung. Der Belgier Karel van Miert (54) ist seit 1989 Mitglied der EU-Kommission und dort seit 1993 für die Kontrolle von staatlichen Beihilfen, Fusionen und Kartellen zuständig. In seiner Generaldirektion Wettbewerb arbeiten 440 Kontrolleure.
taz: Derzeit werden in Ostdeutschland doppelt so viele staatliche Beihilfen vergeben wie im Rest der EU zusammen. Wie lange werden Sie das noch akzeptieren?
van Miert: Wir haben immer anerkannt, daß die Wende in der DDR eine Ausnahmesituation war. Jetzt ist es allerdings Zeit, die Sonderregeln zu beenden, schließlich herrscht auch anderenorts hohe Arbeitslosigkeit.
Die Kommission hat bisher in keinem einzigen Fall Beihilfen für ostdeutsche Betriebe abgelehnt. Wird sich das jetzt ändern?
Ja. Ein westdeutscher Konzern, dem es gutgeht, kann für seine ostdeutsche Tochter doch selber Anstrengungen machen. Seit Jahresbeginn gibt es nur noch ein beschleunigtes Verfahren für Routineentscheidungen, sonst gelten die gleichen Regeln wie für andere Länder.
Bei der Privatisierung von Treuhand-Unternehmen wurden oft Zusagen gemacht, die nicht eingehalten wurden. Es wurden weniger Arbeitsplätze geschaffen als versprochen, es wurde weniger investiert.
In Ihren Beispielen handelt es sich um Auflagen der Treuhand. Deren Einhaltung müssen die Bundesregierung oder die Nachfolgeorganisationen der Treuhand selbst überprüfen. Wir kümmern uns nur um die Auflagen, die wir selbst gemacht haben: ob zum Beispiel beim Vulkan-Verbund tatsächlich Kapazitäten abgebaut wurden.
Auf die Hilfe der Mitgliedsstaaten sind Sie aber angewiesen, wenn Sie wissen wollen, ob die bewilligten Gelder auch richtig verwendet wurden. Beim Bremer Vulkan war das ja nicht der Fall.
Das ist richtig. Es war für uns ein echter Schock, daß es gerade in der Bundesrepublik mit der Kontrolle nicht geklappt hat.
Heißt das, daß Sie jetzt überall selber kontrollieren müssen?
Nicht überall, aber immer mehr. Wir werden immer häufiger Staatshilfen mit der Auflage genehmigen, daß uns die Unternehmen regelmäßig Bericht erstatten.
Zu Ihrem zweiten Schwerpunkt: Immer mehr europäische Großunternehmen fusionieren, um sich für den globalen Wettbewerb fit zu machen. Halten Sie das für eine gute Entwicklung?
Es ist mir lieber, wenn es noch einen europäischen Wettbewerber gibt, der weltweit mitmischen kann, als gar keinen.
Sie sichern den Wettbewerb also nur noch im Weltmaßstab?
Natürlich nicht. Man muß hier Sektor für Sektor differenzieren. Bei Jumbo-Jets etwa gibt es weltweit nur noch Boeing und den europäischen Airbus. Aber bei kleineren Flugzeugen kann es auch in Europa mehrere Anbieter geben.
Werden Sie die jüngste Medienfusion von Bertelsmann und der RTL-Mutter CLT genehmigen?
Wir haben die Sache noch nicht geprüft. Wegen der Größe der Fusion ist aber wohl die EU-Kommission und nicht das Bundeskartellamt zuständig.
Da wird sich Bertelsmann freuen. Ist es Ihnen nicht peinlich, daß die deutsche Wirtschaft überall erzählt, sie werde viel lieber von Ihnen als vom strengen Berliner Kartellamt geprüft?
Die Industrie findet es interessant, daß wir schnell arbeiten und unsere Entscheidungen in der ganzen EU Geltung haben.
... Und daß Sie bisher von rund 400 angemeldeten Fusionen nur ganze vier untersagt haben.
Bei diesem Vorwurf wird allerdings übersehen, daß wir viele Fusionen nur unter Auflagen genehmigen. Und manchmal sind die Auflagen, die wir in Aussicht stellen, so hart, daß die Fusionspläne wieder abgeblasen werden.
Beispiele bitte!
Vorgespräche sind geheim.
Dieter Wolf, der Chef des deutschen Kartellamts, wirft der Kommission vor, daß sie politisch viel leichter zu beeinflussen sei als ein unabhängiges Kartellamt. Trifft Sie das persönlich?
Nein, er betont ja auch öfters, daß er keine Sorgen hat, solange ich den Job mache.
Dennoch will Deutschland Ihre Aufgaben einem unabhängigen europäischen Kartellamt übertragen.
Außer Deutschland ist kein anderer Mitgliedsstaat dafür. Denen ist die Kommission eher zu streng.
Wen meinen Sie?
Frankreich zum Beispiel. Ihm paßt unsere Liberalisierungspolitik bei Post und Telekom gar nicht mehr. Interview: Christian Rath
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