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Hamburg versinkt im Schlick der Elbe

■ Die Spülfelder sind bald voll und neue Deponien noch lange nicht in Sicht

Hamburg versinkt im Elbschlick: Deponieflächen sind rares Luxusgut, alternative Entsorgungsverfahren – wie Eggen und Verklappen in der Nordsee, Einlagerung in Salzkavernen oder Verwertung als Baustoff – unzureichend erforscht, umweltpolitisch umstritten oder ökonomisch bedenklich. Selbst das einst verbündete Schleswig-Holstein droht nun, die seit Jahren geplante Hügel-Deponie in Bovenau (Landkreis Rendsburg-Eckernförde) doch nicht für Hamburgs Hafen-Schlamassel zu opfern.

„Diese Tauschgeschäfte müssen neu verhandelt werden. Die Hansestadt muß eigene Entsorgungskapazitäten aufbauen“, erklärte die grüne Fraktionschefin Irene Fröhlich jüngst den Elbschlick zum Streitpunkt in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Setzt sie sich durch, gerät Hamburg in arge Bedrängnis: Die städtischen Deponieflächen in Francop und Feldhofe sind spätestens in zehn Jahren erschöpft, schätzen Experten. 2,5 Millionen Kubikmeter – das entspricht dem Volumen von 20 Produktionshallen a 25 Meter Höhe, 50 Meter Breite und 100 Meter Länge – des teils hochgiftigen Baggerguts werden jährlich mit einem Kostenaufwand von 60 Millionen Mark aus Hafenbecken und dem Hamburger Elb-Abschnitt ausgegraben, nur um die Fahrrinnentiefe zu halten. Jede weitere Vertiefung erhöht die Schlamm-Türme um einige Stockwerke.

Händeringend wird mit allen psychologischen Tricks nach alternativen Standorten gesucht: Der ureigene Hamburger Hafenschlick wurde in Elbschlick umbenannt, um den Nachbarn zu signalisieren, daß die schwierige Entsorgung des giftigen Baggerguts keineswegs als rein hanseatische Aufgabe zu begreifen sei. 1984 verpflichteten sich Schleswig-Holstein und Niedersachsen, über zehn Jahre Deponieflächen für jährlich je 200.000 Kubikmeter Schlick zur Verfügung zu stellen. Es blieb bei der Absichtserklärung.

Die seit Sommer 1995 diskutierte Lagerung des Schlicks in niedersächsischen Salzkavernen der Firma Dow Chemical bei Stade ist umweltpolitisch umstritten und extrem kostspielig: Durch ein geschlossenes Pipeline-System soll mit Salzsole aufgespülter Hafenschlick von Hamburg in die unterirdischen Kavernen fließen. Allein der Bau des 40 Kilometer langen Rohrs würde mehr als 100 Millionen Mark verschlingen. „Die Kosten würde Hamburg tragen“, versichert Strom- und Hafen-Sprecher Rolf Semrok.

„Das Verfahren stärkt einzig die Chlor-Industrie“, klagt GAL-Umweltreferent Thomas Kleineidam: Verfüllte Salzstöcke sind weniger einsturzgefährdet, eine erhöhte Produktion der ökologisch fragwürdigen Chlorchemie somit möglich. Im übrigen packe das Verfahren das Problem nicht an seiner Wurzel: „Da wird kein Gramm vermieden.“ Die Ziegelherstellung aus Schlick, wie sie eine Hamburger Firma derzeit erprobt, steckt in den Kinderschuhen.

Auf Hochtouren laufen seit Ende 1995 Versuche zur alternativen Schlick-Entsorgung bei Wittenbergen: Statt den Schlick auszubaggern, werden die Ablagerungen durch Eggen aufgewirbelt. Mit der Strömung fließen sie elbabwärts und landen auf Nimmerwiedersehen in der Nordsee. Erschöpfende Erkenntnisse über die Umweltverträglichkeit, räumt Semrok ein, liegen bislang allerdings nicht vor. „Das Wissen, das es über die Ablagerung von aufgewirbeltem Schlick an naturbelassenen Flüssen gibt, lassen sich nicht ohne weiteres auf die begradigte Elbe übertragen“, warnt Kleineidam. Die Konsequenzen für die Nordsee seien unabsehbar: Selbst wenn die Elbe heute weniger schadstoffbelastet sei, „ist der Schlick noch 15 bis 20 Jahre verseucht“. Heike Haarhoff

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