: Unheilvolle Erlöser
■ Tiefe Abgründe - tückische Geschäfte: "Operation Medusa" (morgen, 20.15 Uhr, ARD)
Wer heute abend nicht „in der ersten Reihe“ Platz nimmt, versäumt etwas, was man im deutschen Fernsehflachland so nicht allzuoft geboten bekommt: einen Thriller der S-Klasse nämlich, so gespenstisch aktuell wie spannend und aus all den Zutaten, die couch potatoes von einem ordentlichen Krimi erwarten dürfen: Gleich zu Anfang stürzt jemand vom Dach eines hohen Gebäudes in die Tiefe, wodurch sich unheilvolle Abgründe offenbaren, in die auch die ZuschauerInnen im Verlauf der Handlung immer tiefer hineingezogen werden. Als Identifikationsfigur agiert ein junges Mädchen, stark und sensibel zugleich, das sich um des toten Freundes willen nicht abhalten läßt, der Wahrheit auf den Grund zu gehen und dabei prompt selbst in den Psychostrudel und allergrößte Gefahr gerät.
Dann hat es da Polizisten, die so zögerlich, ja unfähig zu Werke gehen, daß sie „nicht mal ihren eigenen Arsch mit dem Mikroskop finden“ würden (O-Ton der Polizistentochter), dann wiederum so geschäftig, daß es böse Zweifel nähren muß, auf welcher Seite sie eigentlich operieren. Auch der „Tüftler“ fehlt nicht im Szenario, ein bißchen tolpatschig zwar, auch nicht immer hundertpro glaubwürdig, aber unentbehrlich, um den notwendigen Nachschub an Informationen in die Geschichte einzuspeisen und sie als potentielles Opfer zu diversifizieren.
Selbst einer Liebesgeschichte ermangelt es nicht, wenngleich sie – lieblos unerotisch abgespult – die dramaturgische Pflichtübung nicht ganz zu verleugnen vermag. Und natürlich die Protagonisten des Verbrechens, deren Janusköpfigkeit sich „James Bond“-Vater Ian Fleming perfider nicht ausgedacht haben würde: nach außen heilbringende „Erlöser“, in deren Geist scheinbar einfühlsame Frauen gutgläubigen Menschen Hilfe andienen, in Wahrheit aber ein bösartig wucherndes Imperium mit Killerkommandos und allem Drum und Dran, organisierte Kriminalität, die vor nichts zurückschreckt.
Wegen all diesem müßte man diesen Schocker nicht unbedingt besonders erwähnen. Ja, eigentlich müßte man sogar monieren, daß die ARD sich erdreistet, das Stück im Abstand von sechs Monaten gleich zweimal zu zeigen! Müßte man – höbe diesen Film nicht (ungeachtet einiger unvermittelter Brüche) künstlerische Qualität aus der Masse des in diesem TV-Genre Üblichen heraus und wäre nicht neben Fred Breinersdorfer (Buch) auch Thorsten Näter (Regie) am Werk gewesen. Näter, ein musisches Multitalent mit langer Filmographie als Regisseur, Autor, Schnittspezialist und Filmmusiker, hat sich besonders dadurch einen Namen gemacht, daß er gesellschaftlich brisante Themen anpackt, um sie auf eingängige Weise, sprich: massenkompatibel umzusetzen. Erst 1994 war ihm mit dem Dreiteiler „Die Bombe tickt“ ein vielbeachteter Wurf zur Demaskierung des Rattenfängers Rechtsextremismus gelungen.
Mit „Operation Medusa“ hat Näter sich aus gegebenem Anlaß andere, nicht minder skrupellose Menschenverführer vorgeknöpft: die Psychosekten. Obgleich die Story natürlich erfunden und auf eine überschaubare Anzahl von Akteuren fokussiert ist, wurde sie auf dem Boden sehr realer Tatsachen ziemlich detailgetreu (doch juristisch wasserdicht) ausgestaltet. Unschwer lassen sich die Machenschaften der „Scientology“- Sekte darin erkennen, jenem aggressiven Psychosyndikat amerikanischer Herkunft, das als „Kirche“ getarnt auch hierzulande auf Kosten Wehrloser sein tückisches Geschäft betreibt – und sich von den Behörden bisher nahezu unbehelligt ausbreiten konnte, wie SachkennerInnen beklagen. Daß sich die Realität in Näters Enthüllungskrimi keineswegs überzeichnet spiegelt (worum ihm, wie er sagt, sehr zu tun war), werden taz- LeserInnen selbst beurteilen können. Justament am Tag der Pressevorführung von „Operation Medusa“ erst hatte beispielsweise taz Hamburg zu berichten, daß im dortigen LKA offenbar ein Scientology-Maulwurf agiert. Vermutet worden sei das schon länger, bewiesen habe es jetzt aber das Scientologen-Hausblatt, in dem ganze Passagen einer geheimen LKA- Analyse über die Sekte auftauchten, die nach Angaben der Dienststelle für interne Ermittlungen nur aus Polizeikreisen stammen konnte ... Ulla Küspert
Dem Thema Sekten widmet sich übrigens auch arte am 18.4. und 21.4., jeweils um 20.45 Uhr in zwei vom WDR produzierten Themenabenden: „Die Seelenkartelle“.
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