: „Das ist ein Irrenhaus“
Regierungskrise in Mecklenburg-Vorpommern: Der Werftenstreit entzweit die Große Koalition in Schwerin. SPD und PDS fordern den Rücktritt der CDU-Finanzministerin ■ Von Christoph Seils
Die christdemokratische Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern versuchte gestern Gelassenheit zu demonstrieren. Die „Sacharbeit“ müsse fortgesetzt werden, betonte ihr parlamentarischer Geschäftsführer, Lorenz Caffier, und verwies auf das in der großen Koalition lange umstrittene Schulgesetz. Es hatte am Vormittag den Kulturausschuß passiert und soll in der kommenden Woche endgültig vom Landtag verabschiedet werden.
Doch auf den Fluren des Schweriner Schloßes interessierte das weniger. Allen lag nur die eine Frage auf der Zunge: Wie geht es weiter mit der Großen Koalition. „Das ist ein Irrenhaus“, kommentierte ein Mitarbeiter des Landtages das Treiben. Eine Krisensitzung jagte die nächste, und so richtig konnte niemand mehr sagen, was eigentlich am Abend zuvor geschehen war.
Mit den Stimmen des Koalitionspartners SPD und der PDS- Opposition hatte der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern am Dienstag abend den Rücktritt von Finanzministerin Bärbel Kleedehn (CDU) gefordert. Der Grund dieser Forderung: Aus Sicht der SPD hatte Kleedehn ohne Not und ohne Mandat der Landesregierung einem für das Land nachteiligen Finanzierungskonzept zur weiteren Sanierung der ostdeutschen Werften zugestimmt. Mecklenburg-Vorpommern soll demnach 350 Millionen Mark und damit ein Drittel der Sanierungskosten für die Werften des Landes tragen. Gleichzeitig hatte die SPD-Fraktion allerdings das Verhandlungsergebnis der Finanzministerin „im Interesse der Werften“ gebilligt. Bei vielen Beobachtern erntete sie mit diesem widersprüchlichen Verhalten nur Kopfschütteln.
Kompromißlos stellte sich Ministerpräsident Bernd Seite gestern hinter seine Parteifreundin Kleedehn. Sie sei die erfolgreichste Finanzministerin der neuen Bundesländer, sie habe bei den Verhandlungen über die Sanierung der vom Vulkanverbund abgekoppelten Ost-Werften in Bonn ein „gutes Ergebnis erzielt“.
Das sieht der Koalitionspartner SPD selbstredend anders. Der Wirtschaftsminister und SPD-Landesvorsitzende Harald Ringstorff warf seiner Kabinettskollegin vor, bei den Verhandlungen mit der Bundesregierung und der Treuhandnachfolgerin BvS über die Ausgliederung der ostdeutschen Werften aus dem Vulkanverbund ein sehr schlechtes Ergebnis ausgehandelt zu haben.
In einem Rundfunkinterview erneuerte der SPD-Fraktionsvorsitzende Gottfried Timm gestern die Rücktrittsforderung. Zugleich erklärte er: „Wir wollen die Große Koalition fortsetzen.“ Mit ihrer eigenmächtigen Verhandlungsführung sei die Finanzministerin „aus dem Ruder“ gelaufen, daher müsse sie nun die politische Verantwortung übernehmen. Offen ließ Timm die Frage, was passiere, wenn Kleedehn nicht zurücktrete. Dann, so orakelte er, werde die Koalition in eine „sehr schwierige Lage“ kommen.
Ist die Große Koalition noch handlungsfähig?
Hinter den Kulissen wurde das Szenario bereits durchgespielt. So könnte etwa ein SPD-Sonderparteitag den Weg für ein konstruktives Mißtrauensvotum frei machen. Um sich selbst zum Ministerpräsidenten küren zu lassen, wäre Ringstorff anschließend auf die Stimmen der PDS angewiesen.
Nach Meinung der PDS ist die große Koalition schon heute nicht mehr handlungsfähig. Der PDS- Landesvorsitzende Helmut Holter forderte Ministerpräsident Bernd Seite gestern auf, im Landtag die Vertrauensfrage zu stellen. Gleichzeitig erinnerte er an einen Beschluß seiner Partei aus dem Oktober 1994. An der PDS werde die Ablösung eine von den Konservativen geführten Regierung nicht scheitern. Die Frage, ob dies die Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung bedeute oder ob die PDS bereit sei, in eine Koalition mit den Sozialdemokraten einzutreten, ließ Holter offen. Darüber müßten die Parteigremien entscheiden.
Am gestrigen Abend traf der SPD-Landesvorstand in Rostock zusammen, um das weitere Vorgehen der Partei zu beraten. Bei der Abstimmung über die Rücktrittsforderung hatte Ringstorff seine Partei geschlossen hinter sich bringen können. Ob sie ihm aber auch darüber hinaus folgen wird, vermochte in Schwerin gestern niemand vorherzusagen.
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