Glück und Leid eines Tunnelgangsters

■ Zweites Bandenoberhaupt der mutmaßlichen Tunnelgangster bricht überraschend sein Schweigen

Dergham Ibrahim reicht der Beamtin an der Paßkontrolle auf dem Frankfurter Flughafen seinen Paß und sagt: „Ich heiße Dergham Ibrahim. Gegen mich läuft ein Haftbefehl.“ Die Dame zeigt sich wenig beeindruckt und winkt ihn durch: „Gehen Sie weiter, ich habe keine Zeit.“ Doch Ibrahim bleibt stur. „Ich heiße Dergham Ibrahim. Gegen mich liegt ein Haftbefehl vor.“ Da wird die Beamtin ungehalten: „Junger Mann, Sie haben keine Chance bei mir.“

Diese und andere Anekdoten aus dem spektakulären Tunnelcoup im Juni letzten Jahres, bei dem die Täter 16 Geiseln nahmen und über 16 Millionen Mark erbeuteten, erzählte gestern Dergham Ibrahim vor dem Landgericht, vor dem er sich zusammen mit fünf weiteren Angeklagten wegen Geiselnahme, erpresserischem Menschenraub und schwerer räuberischer Erpressung verantworten muß. Der in Beirut geborene Kurde mit deutschem Paß, der vor der Polizei jegliche Tatbeteiligung bestritten hatte, brach gestern überraschend sein Schweigen. Wie auch der erste Angeklagte, der am Montag ausgepackt hatte, belastete er den mutmaßlichen Bandenchef, seinen langjährigen Freund Khaled Al Barazi. Obwohl dieser als der Älteste als „Respektsperson“ gegolten habe, hätten alle gemeinsam, „wie eine große Familie“, den Plan ausgeheckt.

Der korpulente Ibrahim, der locker als seriöser Geschäftsmann durchgehen könnte, schilderte gestern ausführlich diverse Pannen in der anderthalbjährigen Tunnelbauzeit. So sei ein Komplize fast durch hereinbrechendes Regenwasser ertrunken, ein anderer beinahe in herabstürzenden Sandmassen erstickt. Für Heiterkeit sorgte seine Bemerkung, daß sie sich das Holz, das sie für den Tunnel verwendet hatten, auf Baustellen „geliehen“ hätten. Sie seien davon ausgegangen, daß die Polizei es zurückbringen werde.

Ibrahim, dessen Redefluß kaum zu stoppen war, betonte, daß sie den Geiseln, die sie 17 Stunden gefangen hielten, niemals Gewalt antun wollten. „Wir hatten beschlossen, sie nicht zu quälen.“ So habe er einer Frau, die über Rückenschmerzen geklagt habe, den Rücken massiert. Doch aus Angst vor sexuellen Verdächtigungen habe er kurze Zeit später damit aufgehört. Die Drohung, Geiseln auf die Beine zu schießen, sei rein taktischer Natur gewesen: „So etwas gehört zu solch einem Überfall dazu.“

Bevor Ibrahim schließlich beim dritten Anlauf in Frankfurt von der Polizei verhaftet wurde, hatte er sich einen Urlaub mit seiner Freundin im kubanischen Urlaubsparadies Varadero gegönnt. „Ich habe meinen Urlaub genossen“, sagte er, „nicht, daß ich mir da Sorgen machte.“ Von Kuba aus sei er über Moskau nach Beirut zu seiner Mutter geflogen. Zu dieser Zeit sei er bereits über Presseveröffentlichungen seines Konterfeis informiert gewesen. Über den Verbleib der 16 Millionen Mark, von denen bisher erst ein Drittel gefunden wurde, äußerte sich Ibrahim nicht. Nach neuesten Hinweisen liegen 8,7 Millionen Mark möglicherweise in Berlin vergraben. „Wenn ich wüßte wo in Berlin“, so Ibrahim, „wäre ich doch getürmt.“ Barbara Bollwahn