Zwischen den Rillen: Posex und Poesie...
■ „... und alles für ein kleines Gebet“: Funny van Dannen und Kahl/Kayser
Jetzt, wo er Kult geworden ist, Udo Lindenberg zwei seiner Songs gecovert hat und der Berliner Songdichter Funny van Dannen damit sozusagen an der Biegung des Mainstream steht, ist es an der Zeit, die Sache mal kontrovers zu diskutieren: Als laizistischer Imaginärinhaber der Redaktionsstelle „Kirche und Welt“ stehe ich nicht an zu behaupten, daß Funny van Dannen keineswegs „Schlager für Schlaue“ (tip) macht, sondern ein Poet im Geiste des Christentums, wenn nicht gar des Katholizismus ist. Allerdings eines profan gewendeten.
Den Mut zu dieser These schöpfe ich aus allerhand Indizien, zum Beispiel einem Songtitel wie „Junge Christen“, in dem van Dannen ganz offen die Sponsorschaft Gottes hinsichtlich Mensch, Luft, Keks und Fanta-Brause problematisiert („... und alles für ein kleines Gebet“), mehrheitlich aber aus eher apokryphen Passagen der gerade erschienenen zweiten CD „Basics“ (!). „In Japan fall'n die Häuser um wie Apfelsinenkisten / Die Menschen sterben Back to Basics: Funny van DannenAbb.: Trikont
hier und da durch Fundamentalisten“ – werden hier nicht Fragen der Theodizee aufgeworfen, nach Kant die Verteidigung des Allmächtigen gegen die Vorwürfe, die das Bewußtsein aufgrund der Unbill der Zeitläufte gegen IHN erheben mag? Wo steckt er bloß, der Kerl? Hat sich einfach so rausgeschlichen aus der Schöpfung? Die Welt, nur notdürftig im Endreim gebunden, bricht katastrophisch herein – da bleibt dem Einzelwesen nur kategorischer Imperativ: „Beweg dich, du fette Sau!“
Aber wohin? „Gwendolyn Tucharsky, an dich denke ich jetzt / Keiner hat dich damals auf 14 geschätzt“ – in gewisser Hinsicht rückt bei van Dannen, auch das sehr katholisch, das Weibliche in die verwaiste Position des Utopischen ein. Titel wie „Posex und Poesie“, „Korkenzieherlocken“ oder „Sextricks“ beleuchten den Zusammenhang von Triebziel und repressiver Entsublimierung, Gwendolyn Tucharsky, die einen Afrolook und „ganz schön liberale Eltern“ hatte, verkörpert die aufklärerischen Versprechen der sozialliberalen Koalition.
Doch das ist lange her, John Lennon lebt nicht mehr ..., und wohin es geführt hat, wissen wir ja mittlerweile auch: Beatmessen, Heizkissen, Mundduschen, „Reizüberflutung“. Dauerhafte Erlösung ist nach van Dannen (klingt nicht der Name schon nach Vanitas?) auch in eroticis kaum zu finden: „Und ich schnitzte in die Schulbank deine Initialen / Das war die Liebe in Nordrhein-Westfalen.“
Interessant nun vom theologischen Standpunkt aus, daß im Maße solcher Versagenssituationen der utopische Urgrund, der Kinderglaube an das Gute in Mensch und Sex, sich in einer dialektischen Volte gegen sich selbst wendet – als Trick der Form! Nicht zufällig bleibt bei Funny van Dannen das Schema des pfadfinderhaft-christlichen Gitarrenlieds zur Gänze intakt, die Kirche sozusagen im Dorf – und Leute, die ihm das ankreiden, haben rein gar nichts verstanden. Nur so nämlich kann die Wandlung von Idylle in Hölle sich vollziehen, und nur so können die beiden sich so verdammt ähneln. Was Funny van Dannen dahersingt, ist ja im Grunde immer derselbe Beatmessensong à la „Danke“, den er mit barbarischer Akkuratesse ... nein, gerade nicht zerstört, sondern, viel sadistischer, durch wohldosierten Entzug von Sinn einen allmählichen Erstickungstod sterben läßt.
So grausam können große Kinder sein, und so lustig können andere drüber lachen, wenn Gott, Welt und Christenmenschen ihr Fett wegkriegen im Kasperletheater der Zeit – das aber auf eine Weise, bei der Kritik und Affirmation sich im Unendlichen berühren. Quod erat demonstrandum.
Mit teilweise ähnlichen Methoden arbeiten Konkret-Zeichner Ernst Kahl und ein ostfriesisch wirkender Multiinstrumentalist namens Kayser, die jetzt gemeinsam eine CD eingespielt haben. Zart zupft Kayser die Gitarre zu Thematiken wie Sex im Zölibat, Utopieverlust, das Pony als Hoffnungsträger, Kontaktanzeigen, Puppenmord, Satisfaction im Altersheim, männliche Verlassenheitsgefühle – von Kahl im Stile eines undurchschaubaren, aber nicht unfreundlichen älteren Onkels fast flüsternd vorgetragen: ein postkommunistischer Liederhansel — als wären alle Schlüsse, die aus solchen Verhältnissen zu ziehen sind, auf ewig versiegelt in einer Fernsehumschaltmelodie des NDR.
Es ist die Schwundstufe des Protestsongs im Sinne Süverkrüp/Wader/Degenhardt/McCartney, die hier mehr immanent als parodistisch traktiert wird, und über das weite Feld bizarr-triebhafter Praktiken herüber meint man tatsächlich noch ein Restglimmen marxistisch-hoffnungsfroher Botschaften zu erkennen: „Verlier nicht den Kopf und fürchte dich nicht / Sieh nur, im Kühlschrank brennt noch Licht“.
Man hört dieses Signal, teilt gewisse Freuden der Blasphemie mit Kahl und Kayser, mag das ganz leicht Kumpanige des Humors am Ende aber doch nicht mögen. „Für dich, Susanne, spiel ich den Stöpsel in deiner Badewanne“ etc. – die Vorstellung, Hermann L. Gremliza könnte da drüber herzhaft lachen, törnt irgendwie ab. Thomas Groß
Funny van Dannen: „Basics“ (Trikont)
Ernst Kahl und Kayser: „Im Kühlschrank brennt noch Licht“ (Nullviernull/Freibank)
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