: Zurück an den Schreibtisch
■ Wieviel Kultur brauchen Bremens Angestellte? – Die Kammer liegt unter dem Beschuß des Wirtschaftssenators
Was aber macht der Angestellte nach Feierabend? Begibt er sich ins Kino oder ins Kabarett? Sucht er das Volkstheater oder die Avantgarde? Will er das vermittelnde, vertiefende Gespräch mit Kulturschaffenden – will er gar selbst Kultur produzieren?
Fragen, mit denen sich seit Jahren jene herumschlagen, die als Vertreter der Arbeiter und Angestellten berufen sind. Ergebnis ist z.B. das engagierte Kulturprogramm der Angestelltenkammer. Kleinkunstabende und Werkstattgespäche mit der Kammerphilharmonie gehören seit 1988 zu dem Versuch, der eigenen Klientel Kultur näherzubringen. Jetzt werden alle Fragen wieder neu gestellt: Durch die Querelen um die Ausgaben der Kammer (die taz berichtete) wächst auch der Druck auf das Kulturprogramm für die Angestellten. Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) ließ verlauten, Kultur zähle nicht zu den eigentlichen Aufgaben der Kammern; eine entsprechende Gesetzesänderung wird derzeit vorbereitet. Und die Geschäftsführung der Kammer gab jetzt Anweisung, sämtliche Planungen für Konzerte, Ausstellungen und Projekte vorerst einzustellen: „Im Moment“, heißt es in der Kulturabteilung des Hauses, „ist de facto nur Abwickeln angesagt.“
Auslöser der Grundsatzdebatte war der jüngste Bericht des Landesrechnungshofes. Der hatte u.a. moniert, daß die Bremer Angestelltenkammer die Beiträge ihrer Zwangsmitglieder – jeder Angestellte zahlt 0,15 Prozent seines Bruttogehalts ein – zum Teil „zweckentfremdet“ verwende – nämlich für seine Stadtteil- und Kulturprojekte. Dieser Auslegung schloß sich der Wirtschaftssenator lückenlos an. Eine inhaltliche Begründung fehlt bis heute. Man zieht sich auf Formalitäten zurück. Der Senator wolle lediglich ausschließen, daß Nichtmitglieder allzu stark vom reichhaltigen Angebot der Kammer profitierten, erklärt die Pressestelle. Welche Art von Kultur künftig noch gefördert werden darf, das kann die Behörde so genau allerdings nicht erzählen.
Gleichviel: Im neuen Kammergesetz soll das Thema keine Rolle mehr spielen. „Der Begriff ,Kultur' ist bei der Neudefinition der Kammeraufgaben nicht berücksichtigt“, sagt Behördensprecher Frank Scheer klipp und klar. Der vorläufige Gesetzestext liest sich so: „Die Aufgabe der Arbeitnehmerkammern ist die Wahrnehmung und Förderung des Gesamtinteresses der Kammermitglieder, insbesondere ihrer wirtschaftlichen, beruflichen und sozialen Belange.“
Warum zum „Gesamtinteresse“ der Angestellten nicht auch die Kultur gehört – diese Frage bleibt für die Kammer selbst unbeantwortet. „Angestellte definieren sich heute sehr stark über kulturelle Milieus“, sagt Peter Beier, der seit acht Jahren das Kulturprogramm organisiert. Durch Kulturprojekte biete die Kammer „Orientierunghilfen und Erfahrungsmöglichkeiten“, die wesentlich für die Mitglieder seien.
Daß dabei nicht immer die breite Masse angesprochen werde, räumt Beier ein. Ein Symposion über Chaosforschung, Aufträge für Neue Musik und Werkstattgespräche mit der Kammerphilharmonie: Angebote wie diese zeigen Beiers experimentierfreudige Linie an. Zur Kundschaft zählt er „Leute, die vom Typ her eher Intellektuelle sind, die sich in Suchbewegungen befinden und eher jünger sind als das übliche Gewerkschaftspublikum“. Elitär ist das für ihn aber noch lange nicht. Beleg: Durch die Zusammenarbeit mit der Kammerphilharmonie habe man inzwischen rund 200 Abonnements an Kammermitglieder vermittelt.
Nicht ganz nebenbei hat das Kulturprogramm freilich auch den Nutzen, zur Profilierung der Kammer beizutragen. In sämtlichen Faltblättern und Bilanzen wird die Kulturarbeit groß herausgestellt – als „eigener Beitrag zu einem quirligen Kulturangebot der Region“.
Überflüssig, sagt wiederum die Behörde. Die Kammer begebe sich in eine „unnatürliche Konkurrenzsituation zu anderen Kulturanbietern“ – das, sagt Scheer, wolle man künftig ausschließen. Außerdem trage der Senat durch seine Subventionen ja schon hinreichend Sorge dafür, daß die Bürger Bremens kulturell gut versorgt würden.
Dem wollen die Kammern durchaus widersprechen. „Wenn wir uns als modernes Dienstleistungszentrum in dieser Stadt verstehen, dann gehört auch ein Kulturangebot dazu“, sagt Beier. Sein Kollege Thomas Frei von der Arbeiterkammer assistiert: Wenn der Wirtschaftssenator seine Ansichten durchsetze, „würde das bedeuten, den Arbeitnehmer auf einen Menschen zu reduzieren, der nur an der Maschine steht“ – ein „Schritt zurück hinter das, was man in den 70er und 80er Jahren erreicht hat.“
Trotz solcher markigen Erklärungen: In der Angestelltenkammer selbst rührt sich im Augenblick anscheinend kaum jemand, um die Kultur hochzuhalten. Der Wirtschaftssenator hat dem Kammervorstand zwar sogar eine Frist gesetzt: Bis zum 6. Mai soll dieser Stellung zu den Vorwürfen beziehen. Doch das Datum beeindruckt die Betroffenen scheint's nicht sonderlich. Im Vorstand finden die Vertreter von DGB und DAG nach wie vor nur schwerlich eine gemeinsame politische Linie. Und als die DAG auf einer der letzten Vollversammlungen einen Antrag zur weiteren Kulturarbeit auf die Tagesordnung setzen ließ, wurde der Punkt nicht mal aufgerufen – es gab Wichtigeres. tw
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