: Ich träume von George – und Charlie N.
Jetzt in deutsch: „Fever Pitch“ ist das beste Fußballbuch, das jemals geschrieben wurde. Nur daß es kein Fußballbuch ist. „Du gehts nicht ins Stadion, weil du dich vergnügen willst“, sagt sein Autor Nick Hornby. Die simple Wahrheit ist, daß Besessenheit nicht so lustig ist ■ Von René Martens
Manche Menschen bezeichnen sich als Fußballfans, weil sie fünfmal im Jahr ins Stadion gehen, um sich die Spitzenspiele der Saison anzuschauen. Für sie ist ein Fußballspiel wie ein Abend in einem edlen Restaurant: Man leistet sich den Luxus selten, aber wenn man's denn schon macht, möchte man anständige Qualität geboten bekommen. Die Fußballbegeisterung solcher sogenannten Fans äußert sich vor allem darin, daß sie Premiere abonniert haben.
Es gab durchaus Momente, in denen Nick Hornby solche Menschen beneidete. Der Mann ist Fan. Von Arsenal London. Bis vor zwei Jahren sein Sohn geboren wurde, sah er sich gezwungen, quer durchs Land zu reisen, um Arsenal zu sehen. Auch unter der Woche. Auch zu womöglich bedeutungslosen Spielen. Wenn man so etwas ständig tut, fragt man sich manchmal, ob nicht doch die anderen, die Fußballgourmets, das bessere Leben haben.
„Für uns ist der Konsum alles; die Qualität des Produkts ist unerheblich“, schreibt Hornby in seiner Autobiographie „Fever Pitch“. Das Buch, 1992 erschienen, war seinerzeit bahnbrechend, weil es als erstes auf den Punkt brachte, was Fußballbesessenheit in all ihren ernsten und komischen Facetten ausmacht. Gollancz, Hornbys britischer Verlag, wirbt auf dem Cover der Taschenbuchausgabe mit dem Zitat eines Journalisten, der es als „the best football book ever written“ bezeichnet hatte. Diese Einschätzung ist richtig – und dennoch maßlos untertrieben. „Fever Pitch“ gehört mindestens zu den besten Büchern der neunziger Jahre.
„Ich weiß von vielen Lesern, die es ihrer Frau oder Freundin in die Hand gedrückt haben – ungefähr mit den Worten: ,Hier steht alles drin, was du bisher wahrscheinlich noch nicht über mich wußtest‘“, umreißt Hornby selbst die Bedeutung seines Debüts.
Nachdem „Fever Pitch“ zunächst nur euphorische Reaktionen hervorgerufen hatte, sah er sich im letzten Jahr einem Backlash ausgesetzt. Der eine Teil der Anti-Hornby-Fraktion halluzinierte, das Buch sei schuld an einer neuerlichen Verrohung der Fans, andere machten es verantwortlich für eine vermeintliche Intellektualisierung des Publikums und die wachsende Popularität des Fußballs bei der Oberschicht. „Ich habe sozusagen Hooligans herangezogen, die Kierkegaard zitieren und Klamotten von Gaultier tragen“, schmunzelt Hornby.
In dieser Woche ist „Fever Pitch“, das sich in Großbritannien 280.000mal verkauft hat, unter dem Titel „Ballfieber“ in deutscher Übersetzung erschienen – etwas spät insofern, als sich Hornbys Einfluß in der Fußballrezeption kritischer Enthusiasten hier längst niedergeschlagen hat. Und eine deutsche Antwort auf „Fever Pitch“ ist bereits im vergangenen Jahr erschienen: „Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen“ von Christoph Biermann.
Das heißt nicht, daß Hornbys Buch im Laufe der Jahre an Größe und Bedeutung eingebüßt hätte. Schade ist lediglich, daß der Charme seines Stils unter der Übersetzung ein bißchen gelitten hat.
Hornby (39) erzählt in „Ballfieber“ sein Leben anhand von Fußballspielen: Jedes einschneidende Erlebnis spiegelt sich wider im Ergebnis eines Arsenal-Spiels. Seine „erste wirkliche Liebesgeschichte“ endet „am Tag nach einem enttäuschenden 2:2-Unentschieden gegen Coventry“. Und die Parallelen gehen noch viel weiter: Als sich Hornby im Sommer 1983 entschließt, den Lehrerberuf aufzugeben und Schriftsteller zu werden, erlebt auch der Verein einen Neubeginn. Dafür soll der seinerzeit populäre schottische Stürmer Charlie Nicholas garantieren, mit dem Hornby schließlich persönliche Hoffnungen verknüpft. „Mit Charlie in der Nähe fühlte ich, wie undenkbar es war, daß ich mit meinen witzigen und doch sensiblen Stücken keinen Erfolg haben würde ...“, schreibt er. Doch es kommt, wie es kommen muß: Nicholas spielt eine katastrophale erste Saison für Arsenal, und Hornbys Stück will niemand haben.
Bevor „Fever Pitch“ ein Bestseller wurde, hat sich Hornby seinen Lebensunterhalt im wesentlichen als Literaturkritiker verdient. Es handelte sich um einen Job, den er, wie er zugibt, womöglich nie hätte machen können, wenn ihn als Kind nicht pöbelnde Arsenal-Fans beeindruckt hätten, die sich über die schlechte Leistung „ihrer“ Spieler ereiferten. Diese größtenteils verbitterten Männer lehrten ihn, jene „Art von Wut zu empfinden“, die zum Beispiel ein schlechtes Buch verdient habe.
Insofern ist klar, daß ihn Arsenal weitaus stärker geprägt hat als irgendeine Popband – auch wenn „High Fidelity“, sein jüngst erschienener Roman, in dem es um die Folgen des Plattensammelns geht, vielleicht einen anderen Eindruck hinterläßt (taz vom 24. Februar). Der entscheidende Unterschied zwischen Pop und Fußball besteht für Nick Hornby darin, daß „Musik ein kalkulierbares Vergnügen ist“, während ein Fußballspiel dagegen naturgemäß nicht kalkulierbar sei. „Und du gehst ja nicht ins Stadion, weil du dich vergnügen willst, sondern weil du hingehen mußt“, sagt er. „Wenn Popmusik so frustrierend wäre wie Fußball, würde ich sicher keine mehr hören.“
Daß Arsenal in seinem Leben allgegenwärtig ist, dokumentiert am besten eine Passage über George Graham, den erfolgreichsten Trainer des Klubs in der jüngeren Vergangenheit: „George ist mein Dad, weniger kompliziert, aber viel furchterregender als der wirkliche ... Ich träume ziemlich regelmäßig von George, vielleicht so oft, wie ich von meinem anderen Vater träume ... Ich denke über diese Träume und ihre Bedeutungen nicht allzu gerne nach.“
Darf man Trainer, diese notwendigen Übel, in seine Träume eindringen lassen? „Abgesehen davon, daß ich Trainer für mehr halte als notwendige Übel: Wenn ich sage, daß ich von George Graham, der für den Verein ein enorm wichtiger Mann war, auf eine ähnliche Weise träume wie von meinem Vater, bedeutet das nicht, daß ich mich mit ihm identifiziere. Ich identifiziere mich ja auch nicht mit meinem Vater.“ Diese Träume, glaubt Nick Hornby, hätten eine „ambivalente Bedeutung“. Er referiert das mit leicht bedrückter Miene, als wolle er sagen, daß die Obsession für Fußball auch besorgniserregende Aspekte hat.
„Die simple Wahrheit ist, daß Besessenheit nicht lustig ist“, schreibt Hornby folgerichtig. Einigen Zuhörern, die unlängst vorrangig wegen „High Fidelity“ zu einer Lesung in Hamburg gekommen waren, schien dieser Sachverhalt nicht bewußt zu sein. Als der Autor aus „Fever Pitch“ las, lachten sie auch über die wenigen Stellen des Buches, die gar nicht komisch sind. Oder doch nicht? „Ich habe das nicht so empfunden“, sagte Horny danach. „Vielleicht habe ich zu dem Buch einfach mehr Distanz als du.“
Wenngleich Hornby, der Vater, Arsenal nicht mehr soviel Zeit widmet wie früher: Weniger intensiv ist die Beziehung nicht. „Nur du als Fan zählst wirklich etwas, du bist gewissermaßen das einzig ständige Inventar des Klubs. Was sind im Vergleich dazu schon Trainer, Funktionäre oder Spieler?“ sagt er.
„Ballfieber“ ist nicht nur geschrieben für alle ernsthaften Fußballfans, diejenigen also, die ein Spiel ihres Vereins jedem Geburtstag eines engen Freundes vorziehen. Auch wer mit Fußball nie etwas anfangen konnte, sieht nach der Lektüre dieses Buches ein, daß Männer, die „sich durch das Resultat eines Spiels aus der Fassung bringen lassen, durchaus intelligent und sensibel sein können“. So hat es eine feministische Autorin in Großbritannien formuliert.
Die Rezension dieser Journalistin war eine Art Schlüsselerlebnis für Hornby. „Sie meinte, sie wäre froh, wenn männliche Fußballfans im Gegenzug begreifen würden, daß Frauen, die viel Zeit in Shopping und Make-Up investieren, ebenfalls intelligent und sensibel sein können“, sagt er. „Und ich gebe zu, daß ich das bisher nicht getan habe.“
Lernfähig will Nick Hornby auf jeden Fall sein: „Gäbe es so etwas wie das ,Fever Pitch‘ für Shopping – ich würde es sofort lesen.“
Nick Hornby: „Ballfieber – die Geschichte eines Fans“. Rogner & Bernhard. Zweitausendeins, 331 Seiten, 28 DM
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