: Der unendliche Redefluß
Das am Ende glückliche 1:0 des 1. FC Köln gegen den FC St. Pauli eröffnete Trainer Peter Neururer neue Dimensionen der Sprachgewalt ■ Aus Köln Christoph Biermann
Dabei hatte sich längst schon eine bleierne Verzweiflung über das Müngersdorfer Stadion gelegt. Das war der Stoff, aus dem man Abstiege macht: Endlich einmal ordentlich spielen, und dann nicht siegen. Tapfer und verbissen fighten, fast alle Zweikämpfe gewinnen, und doch die Torchancen nicht nutzen. Und Namen hatte der Schrecken auch.
Stefan Kohn hatte wieder einmal glänzend seine Rolle als „unglückliche Figur“ ausgefüllt, hinter der sich aber auch eine Art von gut-scheinendem-aber-nur-halbgut-seiendem Poserfußball verbirgt. Toni Polster war schweren Schrittes über den Platz geschlurft und hatte dabei ausgesprochen altherrenhaft gewirkt. Da konnten die Kollegen noch so eifrig über die Flügel jagen und Ball auf Ball in den Strafraum schaufeln, irgendwie brachten die beiden – oder wer sonst gerade in der Nähe war – den Ball immer noch am Tor vorbei. Das wirkte irgendwann so aussichtslos, daß auf den Rängen nicht einmal gebuht oder gepfiffen wurde, sondern nur noch ratlos mit den Schultern gezuckt und der Blick gesenkt.
Da Fußball aber bekanntlich nicht schlüssig ist, kam alles ganz anders und hielt ein rosenumkränztes Happy End für den 1. FC Köln bereit. Denn als die Abwehr des FC St. Pauli endlich zu dem Schluß gekommen war, daß die Gastgeber einfach zu blöd wären, ihre Torchancen zu nutzen, schauten sie fünf Minuten vor Schluß nur noch zu, wie drei Kölner Angreifer aus fünf Metern Entfernung erst gegen den Pfosten (die haben eben Pech!), dann gegen Torwart Thomforde (der hält heute alles!) und schließlich ins Tor (ach du Scheiße!) ballerten. Womit der FC St. Pauli zurecht für sein 9-0-1-System bestraft wurde, das von Trainer Maslo („Wir haben heute nicht unser Spiel gefunden“) so wahrlich nicht vorgesehen war.
Als wollten sie längst überkommene Vorurteile über den paulianischen Fußball bestätigen, hatten sie in der Manier von Tipp- Kick-Fußballern die Bälle nur aus der Abwehr gepöhlt. Weil darauf aber vorne niemand wartete, kamen sie prompt wieder zurück. Ohne den verletzten Carsten Pröpper erarbeiten sie sich während des gesamten Spiels nur eine (1!) Torchance, ansonsten blieben ihre Angriffsbemühungen so gefährlich wie eine durchgeladene Erbsenpistole. Womit sie ihrem zahlreich angereisten Anhang auch noch echten Realo-Jubel aufzwangen. Wer in der Kurve sich über die zwischenzeitlichen Rückstände der Geldsäcke aus Dortmund und München freute, wurde scharf gemaßregelt. Schließlich führten da nicht etwa brave Underdogs, sondern Konkurrenten im Abstiegskampf, so daß schließlich bei den Tormeldungen für Borussia und Bayern die Arme hochflogen.
Am meisten mitgenommen hatte das Spiel offensichtlich Kölns Trainer Peter Neururer, dessen zigarettenbewehrte Hand noch eine halbe Stunde nach Spielschluß sichtbar zitterte. Um seinen Adrenalinspiegel herunterzufahren (vielleicht auch aus grundsätzlicher Neigung) redete er, und redete, und redete. Pausenlos, ohne Punkt und Komma. Schließlich war er nur äußerst knapp darum herumgekommen, seine Äußerungen vor dem Spiel („Gegen wen sollen wir denn gewinnen, wenn nicht gegen St. Pauli“) genüßlich vorgehalten zu bekommen. Und damit wäre die Imagekorrektur des eine zeitlang als „Motivationskünstler“ ziemlich angesagten und dann als dauerarbeitsloser „Lautsprecher“ abgesagten Trainers arg in Gefahr geraten.
Weil's aber geklappt hatte, durfte Neururer erklären, daß das „ganz schön frech“ von ihm war, er aber „Druck auf die Mannschaft ausüben mußte“. Dann rechnete er vor, daß 37 Punkte vielleicht zum Klassenerhalt reichen, forderte von seiner Mannschaft, noch mehr hundertprozentige Torchancen herauszuarbeiten, weil sie halt so viele brauchen, appellierte an die Ehre seiner Spieler und stellte mit der üblich fragwürdigen Bundesliga-Mathematik St. Pauli als Vorbild hin („weil die immer 110 Prozent geben“). Und redete, und redete, und vielleicht sitzt er noch immer dort, denn nicht einmal sein Hamburger Kollege konnte Neururer stoppen. Das knappe Kommando „Rede nicht soviel“, als Uli Maslo den Presseraum des Müngersdorfer Stadions verließ, hatte den Kölner Trainer wirklich nur einen kurzen, winzigkleinen Moment innehalten lassen.
FC St. Pauli: Thomforde - Dammann - Pedersen, Trulsen, - Schweißing (46. Stanislawski), Hanke, Gronau (46. Scharping), Dinzey, Springer (80. Zmijani) - Sobotzik, Driller
Zuschauer: 32.000
Tor: 1:0 Gaißmayer (85.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen