: „Operation Gold“
Eine regennasse Nacht heute vor 40 Jahren. Der KGB jubelt, CIA und Secret Service sind blamiert. Die Sowjets entdecken einen spektakulären Spionagetunnel in der Frontstadt Berlin, von dem sie die ganze Zeit über wußten. Doppelagent George Blake hatte ganze Arbeit geleistet ■ Von Klaus K. Sondermann
Schritte in regennasser Nacht. Männer sind unterwegs in militärischer Mission. Fernab vom Lärm der Innenstadt leitet Oberst Gonscharow seine kleine Schar durch die Berliner Nacht. Nicht nur der kalte Wind treibt den sowjetischen Spähtrupp voran. Der KGB-Mann hat es eilig. Er kann kaum erwarten, was ihm dieser Patrouillengang heute noch bietet: Schon jetzt weiß er, daß es spektakulär sein wird. Und er morgen ein Held. Es ist die Nacht vom 21. auf den 22. April 1956.
In Händen hält Gonscharow eine Skizze, die ihm die Marschroute im Süden der Stadt vorgibt. Er weiß, wo der geheime Einstieg zum unterirdischen Telefonleitungssystem der alten Reichspost liegt, und er findet ihn. Die Soldaten hasten 30, 40 Meter durch das muffige Gewölbe. Im Lichtkegel ihrer Taschenlampen sehen sie den Verlauf der Kabelstränge entlang der braunen Backsteinmauer.„In einer Distanz von etwa fünf Metern vor uns war eine starke Eisentür aufgebaut“, erinnert sich Oberst Gonscharow später. „Darauf stand in russischer und deutscher Schrift: „Auf Befehl des Oberkommandierenden der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland ist der Eintritt strengstens verboten.“
Gonscharow weiß, daß das Schild reiner Bluff ist: Tatsächlich verbirgt sich hier ein Tunnel, der in den Westen Berlins führt, unter der Sektorengrenze hindurch. Entschlossen öffnet er die Tür. Sie ist nicht mal verschlossen. Die Soldaten stürmen die Spionageröhre. „Wir sahen“, erzählt Gonscharow noch heute mit leuchtenden Augen, „die Operateure dasitzen, mit Kopfhörern vor ihren Tonbandgeräten, alle bei der Arbeit, totales Schweigen. Die Überraschung war enorm. Dann rissen sich die amerikanischen Piraten die Kopfhörer von den Ohren, ließen ihre Geräte liegen und rannten in die Tiefe des Tunnels, in den amerikanischen Sektor.“
Die Entdeckung ist die größte Geheimdienstblamage in den Kalten-Kriegs-Zeiten. Es ist die Blamage für den Westen. Enttarnt wurde der Spionagetunnel der CIA, über den die Sowjets erst kürzlich in ihrem KGB-Quartier Karlshorst beraten hatten.
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Nach kurzer Inspektion kommen die Aufklärer wieder an die Erdoberfläche. Oben wartet bereits der sowjetische KGB-Resident von Ostberlin, Generalleutnant Jewgeni Pitovranow. Auch er steigt in den Untergrund. „Mir bot sich ein faszinierender Anblick. Alles glich einem technischen Labor, sauber und gut organisiert. Da waren die Tonbandgeräte, die Arbeitstische. Ich lief etwa 250 Meter in Richtung Grenze zu Westberlin. Alles war bis zur Perfektion ausgerüstet. Die Amerikaner hatten keine Anstalten unternommen, die Herkunft der Geräte zu verschleiern. Überall stand „Made in USA“, schildert der KGB-General seine Eindrücke aus der Lauschröhre.
Noch in der gleichen Nacht ruft Pitovranow Erich Mielke an, den stellvertretenden Minister der DDR-Staatssicherheit. „Melden Sie sofort Walter Ulbricht, daß wir einen Spionagetunnel in der Nähe von Schönefeld entdeckt haben.“
Die DDR-Führung ist fassungslos, keine Ahnung hatten sie davon gehabt, was für eine Zeitbombe sich auf ihrem Territorium befand. Die Sowjets hatten ihr Wissen um die westliche „Operation Gold“ vor Ostberlin geheimgehalten, genauso wie ihre Planung für den Gegenschlag. Fast einen Tag lang braucht das Politbüro, um sich von dem Schlag zu erholen: Das Gelände sei abzusperren und zu untersuchen, heißt es dann hilflos, zudem müsse eine Pressemitteilung verfaßt werden. Die SED übernimmt die Sprachregelung des Kreml. Die Schuld des Lauschangriffs liege vor allem bei der CIA, weniger beim britischen Secret Service.
Aber Moskau wie Ostberlin täuschen sich. In Wirklichkeit war die „Operation Gold“ logistisch eine Sache Londons, mit Geld, Geräten und Arbeitskräften technisch unterstützt von den Amerikanern. Aber in der Zeit des Kalten Krieges gilt es, auf den Hauptgegner einzudreschen.
Schon am nächsten Tag, am 22. April, starten die Sowjets ihre Propagandaaktion. Dazu schickt der Ostberliner Stadtkommandeur Kozjuba seine Sekretärin mit einem Sack voller Groschen nach Westberlin. Sie geht in die erstbeste Telefonzelle hinter dem Brandenburger Tor und ruft Dutzende von Journalisten an. „Kommen Sie sofort in die sowjetische Kommandantur nach Karlshorst. Wir haben einen Spionagetunnel der Amerikaner entdeckt.“ Die Redaktionen reagieren elektrisiert: Geimheimdienstgeplänkel waren in der Frontstadt keine Seltenheit, doch ein Abhörtunnel – dies versprach eine sensationelle Story.
Die Pressekonferenz im sowjetischen Garnisonskino leitet der korpulente Oberst Ivan Alexandrowitsch Kozjuba persönlich. Seine Ansprache ist so kurz wie spektakulär. Die „amerikanische“ Abhörröhre ziehe sich von Alt- Glienicke einige hundert Meter weit in den östlichen Sektor. Ziel sei gewesen, das gesamte Telefonnetz zwischen der Karlshorster Kommandantur, dem sowjetischen Hauptquartier in Wünsdorf und der Moskauer Zentrale anzuzapfen. Kozjuba wettert über die „Machenschaften“ der Westspione. Dann lädt er alle Anwesenden ein, sich den Tatort anzusehen. Sowjetsoldaten in Jeeps und auf Motorrädern eskortieren die eigens organisierten Omnibusse Richtung Rudow.
In voller Fahrt geht's zur Schönefelder Chaussee. Dort ist schon alles für die Vorstellung vorbereitet: Ein provisorisch verbreiterter Einstieg gibt den Blick frei in den Untergrund. Fotografen dürfen stundenlang in den Schacht und die amerikanischen Abhörapparaturen ablichten. Zahlreiche KGB- Offiziere vor Ort schwelgen im Triumph über die „imperialistischen Wühlmäuse“, russische Dolmetscher können sich kaum des Fragensturms der Pressepulks erwehren. Die Offiziere der sowjetischen Friedensmacht diktieren die Geschichte der westlichen Kriegstreiber in die Notizblöcke der schreibenden Zunft.
Die Geschichte beherrscht die Gazetten weltweit. „Akt amerikanischer Piraterie“, entrüsten sich Chruschtschow und Bulganin. Die Kreml-Herren sind gerade auf Staatsbesuch in Großbritannien und nutzen den Presserummel für pathetische Auftritte in London.
Nach dem ersten Schock erkennt schließlich auch die DDR- Regierung das enorme Propagandapotential, das in der blamablen Entlarvung der „Operation Gold“ schlummert. „Ein Unternehmen ganz im Stil des Kalten Krieges, wie ihn sich diejenigen dachten, die in zehnjähriger Arbeit den westlichen Teil der deutschen Hauptstadt zu ihrem Stützpunkt ausbauten, zu einem Gefahrenherd mitten in Deutschland“, empört sich „Der Augenzeuge“, die Wochenschau der DDR. „Wir sind für Kontakte, aber über der Erde.“
Es ist ein gewaltiges Täuschungsmanöver, das da inszeniert wird, denn der Kreml kennt das Geheimnis des Berliner Abhörtunnels schon lange. Noch vor dem ersten Spatenstich hatte der KGB eine detaillierte Skizze vom Verlauf der mannshohen Spionageröhre bekommen. Moskaus Quelle heißt George Blake.
Der Agent des Secret Service arbeitete seit Anfang 1954 im Planungsstab der „Operation Gold“ – einer SIS-Abteilung, die selbst im eigenen Haus geheimgehalten wurde. Blake protokollierte die britischen Absprachen mit den Tunnelpartnern von der CIA. Und er meldete alle Arrangements aus politischer Überzeugung sofort nach Moskau. So saß der KGB von Anfang an mit am Tisch. Gelassen konnten Doppelagent Blake und die Genossen alle Fortschritte beim Tunnelbau verfolgen. Dort gaben die Amerikaner ihr Bestes.
Zur Tarnung der Spionageröhre errichteten sie an ihrer Sektorengrenze Alt-Glienicke eine Großbaustelle, wo britische und amerikanische Arbeiter Tag und Nacht ununterbrochen schufteten, angeblich für eine Radarstation. Doch die gesamte Großbaustelle diente nur dazu, den gewaltigen Erdaushub zu kaschieren und die stählernen Tunnelsegmente unbemerkt zusammenzusetzen.
Am 25. Februar 1955 waren die Abhöranlagen installiert, technisch auf allerneuestem CIA- Stand, Wert 28 Millionen Dollar. Es gab sogar eine aufwendige Bewetterungsanlage, die verhindern sollte, daß im Winter der Schnee über der metertiefen Lauschröhre schmilzt und den Tunnel verrät. Täglich wurden ab Ende Februar von den Westagenten Zehntausende Informationen angezapft, dechiffriert und ausgewertet.
Dies alles läßt den KGB jedoch völlig kalt. „Weil sie vorgewarnt waren“, erklärt der Spion George Blake, „konnten die sowjetischen Behörden Vorkehrungen treffen. Sie konnten wirklich heiße Informationen, die sie dem Westen vorenthalten wollten, über ander Kabel leiten.“
Der Doppelagent Blake war wirklich die Laus im Pelz des Secret Service. Seine Aufgabe: der Aufbau eines Agentennetzes gegen die Sowjetunion. Sein Interesse: Informationen über die „Operation Gold“ zu sammeln und nach Moskau weiterzuleiten.
Sein offizieller Job ließ ihn regelmäßig in den Osten der Stadt fahren, die Treffen mit seinem sowjetischen Kontaktmann fielen nicht auf. Nach dem Grenzübertritt am Checkpoint Charlie wählte Blake die S-Bahn, meistens zum Marx- Engels-Platz.
„Dann begann eine Szene, die aus einem Kriminalfilm hätte stammen können“, schildert heute der Spion mit romantisierendem Unterton die Treffen mit seinem Verbindungsmann „Dick“. „Ich lief in einer öden Gegend auf dem Bürgersteig. Eine schwarze Limousine tauchte auf, die Fenster verhängt. Sie fuhr mir hinterher und hielt an. Die Tür öffnete sich, und ich stieg schnell ein. Dann fuhr ich nach Karlshorst, wo ich ,Dick‘ in einer gesicherten Wohnung vorfand. Er hatte für ein kleines Abendessen gesorgt, das freundschaftlich verlief. Es war eine lockere, gemütliche Atmosphäre. Es gab Wein. Ich beantwortete seine Fragen, die meine letzten Informationen betrafen. Nach etwa einer Stunde wurde ich wieder in die Stadtmitte gefahren und an irgendeinem U-Bahnhof abgesetzt. Von dort ging es wieder nach Westberlin, wo mein Auto stand.“
Blake wußte, daß die Sowjets den Spionagetunnel alsbald entdecken wollten und nur auf einen günstigen Augenblick warteten. Wichtig war ihm nur, daß der Kreml die Aufdeckung so professionell plant, daß kein Verdacht auf seinen Verrat fiel. „Etwa elf Monate nach Inbetriebnahme des Tunnels wurde ich von meinem sowjetischen Kontaktmann informiert, daß die Entdeckung kurz bevorsteht. Er versicherte mir aber, alles werde so verlaufen, daß sich keine Gefahr für meine Sicherheit ergibt.“
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Im Frühjahr 1956 trifft sich die KGB-Führung, um den besten Moment für den Propagandaschlag zu finden. „Der Zeitpunkt war stark beeinflußt von der außenpolitischen Situation“, resümiert der spätere Deutschlandchef des KGB, General Sergei Kondraschow, die Moskauer Motive. „Die Suez-Krise zeichnete sich ab. Die Spannungen waren enorm. Der Kalte Krieg lief Gefahr, in einen heißen Krieg umzuschlagen. Wir hatten auch Informationen, über die sich verschlechternde Lage in einigen Volksdemokratien, zum Beispiel in Ungarn, wo die Situation leicht unserer Kontrolle hätte entgleiten können. Die sowjetische Regierung suchte nach Möglichkeiten für eine propagandistischen Erfolg. Also wurde die Entscheidung getroffen, dem Spiel mit dem Tunnel nun endlich ein Ende zu bereiten“, so der KGB-General heute. Alles soll ganz zufällig erscheinen, „wie ein Akt Gottes“.
Dies ist am 21. April der Fall. Es gießt wie aus Eimern, eine wunderbare Nacht für eine „routinemäßige Untersuchung“ durch den KGB. Oberst Gonscharow wird wirklich in dieser Nacht zum Held. Den schmählich enttarnten Westgeheimdiensten bleibt nichts übrig, als den Kopf einzuziehen und Schadenbegrenzung zu betreiben.
Fieberhaft suchen SIS und CIA den Verräter in den eigenen Reihen. Doch ohne Erfolg. Der Doppelspion bleibt im dunklen.
In stiller Bescheidenheit beobachtet Blake, wie seine konspirative Saat aufgeht. Er hört das Triumphgeheul des Ostens, er sieht den blamierten Westen. Nur sprechen darf er nicht. Sein Beitrag zur „Operation Gold“ bleibt ein Geheimnis. Jahrzehntelang. Bis zum Ende der Sowjetunion.
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