■ Dorothee Sölle, Theologin, über die „Orientierungshilfe“ der evangelischen Kirche zu „Fragen der Homosexualität“
: „Kirche muß ihre Schuld bekennen“

Vor kurzem veröffentlichte das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine „Orientierungshilfe zum Thema Homosexualität und Kirche“. Die wichtigste theologische Kommission der größten Glaubensgemeinschaft des Landes erkennt darin an, daß Schwule und Lesben auch innerhalb der Kirchen arbeiten können, ohne Angst vor Berufsverboten haben zu müssen. Die Gleichstellung mit Heterosexualität wird allerdings ebenso strikt abgelehnt wie das Zusammenleben homosexueller Paare im Pfarramt. Die Synode der nordelbischen Kirche in Rendsburg verabschiedete daraufhin eine „Handreichung“, in der sich die Kirche erstmals dafür entschuldigt, Schwule und Lesben diskriminiert zu haben.

taz: Die Reaktionen zur „Orientierungshilfe“ der evangelischen Kirche zur Homosexualität fallen sehr unterschiedlich aus: Die einen halten die Schrift für ein heuchlerisches Dokument, andere für einen Fortschritt. Was sehen Sie in dem Papier?

Dorothee Sölle: Einen kleinen Fortschritt. Es reicht allerdings nicht. Theologisch gesprochen zeichnet es sich durch bemerkenswerte Unklarheit aus: Einem Ja zur Einstellung von homosexuellen Pfarrern folgt die Order, daß sie dabei möglichst unsichtbar bleiben; einem Ja zur Segnung von Personen folgt eine Ablehnung des Segens für Lebensgemeinschaften.

Die 14 AutorInnen der Schrift behaupten, daß sie so weitgehend wie möglich argumentiert haben, denn in der Bibel stünde nichts Positives zur Homosexualität.

Dagegen spricht schon die Geschichte von David und Jonathan, die man als eine homosexuelle Freundschaft interpretieren kann. „Deine Liebe ist mir größer als Frauenliebe ist“, heißt es da. Die grundsätzliche Attitüde des Jesus der Evangelien ist jedoch, daß alle aus der Gesellschaft Ausgestoßenen angenommen sind.

Statt dessen favorisiert die Kirche wie eh und je die Lebensform, in der Mann und Frau in einer Ehe zusammenleben, die wiederum auf die Zeugung von Kindern angelegt sein sollte.

Ja, und in der Tat steht in der „Orientierungshilfe“ nichts zur Sünde des Heterosexismus. Inzwischen wissen wohl alle Christen, daß Rassismus wider die Schöpfung ist. Dies gilt auch für den Heterosexismus. Er tut so, als hätte eine Lebensform, nämlich die von Mann und Frau in der Ehe, eine vorrangige Stellung. Das halte ich für völlig abwegig. Hier brauchen wir mehr Klarheit.

Viele Christen wollen sich für die rechtliche Gleichstellung Homosexueller einsetzen.

Das ist rühmlich, aber es kann nicht nur um eine verwaschene rechtliche Toleranz gehen, sondern, theologisch gesehen, darum, ob in den verschiedenen Lebensformen – heterosexuelle, zölibatäre, lesbische, schwule oder welche auch immer – Liebe zum Ausdruck kommt. Oder Benutzung. Oder Objektivierung. Das kommt nicht deutlich heraus in dem Papier. Man tut so, als sei Heterosexualität aus sich heraus eine Lebensrechtfertigung. Doch es ist lediglich eine Form des Lebens, nicht ein Dogma.

Viele Christen sprechen davon, daß ein Kind das erste Zeugnis Gottes sei. Und dieses können Schwule und Lesben bei Gott nicht beibringen.

Wir leben in einer Welt, in der Sexualität und Fortpflanzung immer stärker voneinander getrennt werden. Das mag man bedauern, aber man kann es nicht zurücknehmen. Und das sind auch zwei verschiedene Themen. Deswegen kann man nur wünschen, daß auch homosexuelle Paare das Recht bekommen werden, Kinder adoptieren zu dürfen.

Worin sehen Sie in dem Papier denn nun einen Fortschritt?

In der zögerlichen Anerkennung der Tatsache, daß es homosexuelle Pfarrer und Pfarrerinnen gibt. Eine einigende Haltung scheint sich bei den Autoren und Autorinnen allerdings nicht herausgebildet zu haben.

Vielleicht gibt es diese Einheitlichkeit innerhalb der Kirche auch nicht mehr.

Das mag sein, aber daß die Ideologie der Heterosexualität sich nicht mit dem Evangelium vereinbaren läßt, kann doch nicht bestritten werden. Ich würde sogar darauf drängen, daß die Kirche eine Art Sündenbekenntnis abgibt, eine Bitte um Vergebung Homosexuellen gegenüber, so wie einst auch an die Adresse der Juden: Wir haben euch Unrecht getan. Ein Bekenntnis der Schuld, selbst dazu beigetragen oder davor die Augen verschlossen zu haben, daß Homosexuelle getötet, gefoltert und diskriminiert wurden, auch im Namen Gottes.

Warum soll eigentlich die Kirche fortschrittlicher sein als die Gesellschaft? Selbst Eltern, die sich für aufgeklärt halten, möchten nicht, daß ihre Kinder schwul oder lesbisch werden.

Weil Kirche mehr Erfahrung haben kann, daß Homosexuelle dazugehören. Sie sind in der Seelsorge, sie helfen in christlicher Nächstenliebe: Ohne sie wären viele Gemeinden noch ärmer. Daran läßt sich doch praktisch erkennen, wie absurd die Idee ist, Homosexualität und Christsein für einen Widerspruch zu halten. Im Gegenteil müssen Christen Homosexuelle ermutigen, ihre Liebe nicht zu beschweigen.

In den Augen konservativer Christen spielen Sie mit so einer Aussage mit Kirchenspaltung.

Ich glaube, daß diese Kirchenspaltung bereits vollzogen ist. Fundamentalisten ist jeder Anlaß recht, vor der wirklichen Welt Angst zu schüren – ob es nun die Frage von Verhütung oder von Abtreibung ist. Es sind dieselben Leute, die nie etwas gegen das Töten hatten. Doch sie haben immer etwas gegen Sex.

Woran liegt das?

Körperangst, gewiß. Aber es ist auch ein Machismo. Töten ist ein sehr alter Job von Männern.

Frauen töten ebenso.

Bei Männern ist das Töten jedoch meist mit Ehre bedeckt.

Wie soll innerhalb der Kirche die Diskussion weitergehen? Ist die „Orientierungshilfe“ nun der Kompromiß für die nächsten zehn Jahre?

Das glaube ich nicht, denn dazu ist sie zu schlecht, zu undeutlich an vielen Stellen – ein unerträgliches Papier des Jein.

Wie sollen Konservative für eine liberale Haltung anderen Lebensformen gegenüber gewonnen werden?

Nicht theoretisch, das steht fest. Dafür mehr empirisch, seelsorgerisch. Indem man ihnen zeigt, wie Gemeinden schon gut damit umgehen, wenn ihre Pfarrer oder Pfarrerinnen homosexuell sind. Es wäre nicht das erste Mal in der Christengeschichte, daß die Menschen klüger sind als die Hirten. Interview: Jan Feddersen