Die zweite Front im Kaukasus

■ Das Mandat der Friedenstruppen an der abchasischen Grenze ist beendet. Georgien setzt weiter auf Moskau und will den Auftrag der Soldaten noch erweitern

Moskau (taz) – Am vergangenen Wochenende endete offiziell das Mandat der russischen Friedenstruppen an der georgisch-abchasischen Grenze. Am Mittwoch hatte das georgische Parlament in Tbilissi ein Maßnahmenbündel zur weiteren Regulierung des Konfliktes zwischen beiden Völkern beschlossen. Allein die Sprache des Dokumentes legt die Vermutung nahe, daß der Regierung in Tbilissi neue Kämpfe an dieser Front nicht ungelegen kämen, um ihre Hausmacht zu stabilisieren. Sie klassifiziert die Handlungen der Separatisten als „gegen Staat und Einheit Georgiens gerichtet“ und die gegenwärtige abchasische Führung als „verbrecherisch“.

Georgien fordert von der UN ein Tribunal zwecks „Untersuchung des Genozids an der georgischen Bevölkerung“ in Abchasien. Dies wäre ein zweischneidiges Schwert. Die militärische Aggression ging seinerzeit von Tbilissi aus. Der Krieg in der von nur einer halben Million Menschen bewohnten multinationalen Republik wurde 1992/93 äußerst grausam geführt. Drastisch sank die Zahl nicht nur der GeorgierInnen, sondern auch der AbchasInnen. Die seit Jahrhunderten ansässigen russischen, armenischen, jüdischen und griechischen Minderheiten wurden völlig vertrieben. Bereits bei seinem März-Besuch in Moskau hatte Schewardnadse dem Friedenskontingent „Untätigkeit“ vorgeworfen. Er bezeichnete dessen weitere Stationierung nur als sinnvoll, falls die Soldaten grünes Licht für „polizeiliche“ Aktionen erhielten und die bisher nur im Grenzgebiet stationierte Puffer-Truppe auf ganz Abchasien ausgeweitett würde. Nicht einmal der Schewardnadse sehr gewogene russische Verteidigungsminister Pawel Gratschow konnte dem aber zustimmen.

Bei den Streitkräften handelt es sich trotz ihrer russischen Nationalität um eine GUS-Friedenstruppe, die eng mit UN-Beobachtern zusammenarbeitet und deren Aufgaben in strikter Übereinstimmung mit den UN-Statuten formuliert worden waren. Über den weiteren Einsatz müssen in erster Instanz die GUS-Chefs auf ihrem Gipfel am 19. Mai entscheiden.

Zwei Jahre lang haben diese Soldaten nicht nur die Kampfhähne aus beiden Völkern auseinandergehalten und das Gebiet von Minen befreit. Sie überwachen auch die Rückkehr der Georgier an ihre abchasischen Wohnorte. Mit seltener Offenheit sagte Schewardnadse letzte Woche über die Lage in Abchasien: „Hier ist unsere Hauptressource der russische Faktor, und Georgien verfügt über gewisse Hebel, um ihn zu aktivieren“. Tatsächlich gibt es einige Punkte, in denen Moskau auf Georgien angewiesen ist.

Zum einen hätte Rußland gern die georgische Grenze zu Tschetschenien abgeriegelt. Sie wird regelmäßig von Feischärlern überschritten. Außerdem gelang es dem georgischen Präsidenten kürzlich, mit Aserbeidschans Staatschef Gajdar Alijew einen Jahrhundertvertrag zu schließen. Demzufolge soll ein ansehnlicher Teil des Erdöls aus dem kaspischen Schelf 440 Kilometer weit durch Georgien geleitet werden. Diese Pipeline wird Georgien anzapfen dürfen. Natürlich sind auch russische Öl-Magnaten an einer Beteiligung interessiert. Trotzdem zögert die russische Regierung. Die Lage in Abchasien wird täglich explosiver. Falls russische Truppen hier künftig aktiv mitmischten, hätte Moskau bald ein zweites Tschetschenien an seiner südlichsten Grenze. Barbara Kerneck