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Viel Terror, wenig Demokratie

Die Ausstellung „Geschichtsmeile Wilhelmstraße“ knüpft Verbindungen zum Jenseits. Einst Ort hoher Politik, heute Vorstadtstraße  ■ Von Rolf Lautenschläger

Die Wilhelmstraße ist eine Straße der Sehnsucht. Von der „Downing Street“ Berlins, dem „Quai d'Orsay“ an der Spree und dem Ort preußischer Außenpolitik in Zeiten Otto Bismarcks ist die Rede, wird an die Straße erinnert. Was gegenwärtig ist, die Plattenbauzeilen, das Treuhandgebäude und die drei verbliebenen Palais nahe dem Brandenburger Tor, läßt selbst den Historiker Andreas Nachama von der Stiftung „Topographie des Terrors“ kalt.

„Die Wilhelmstraße“, sagte Nachama gestern zur Ausstellungseröffnung der „Geschichtsmeile Wilhelmstraße“, „ist heute kaum mehr als eine kleinbürgerliche Vorstadtsiedlung mit provinziellem Mief.“ Weltpolitik ade, trotz des Standortes für das Finanzministerium an der Ecke zur Leipziger Straße.

Wenn der Blick so auf die Vergangenheit konzentriert ist und man wenig von der Zeit nach 1945 wissen will, nimmt es nicht wunder, daß die „Ausstellungsmeile“ von Nachama und Hans Wilderotter nur Verbindungen zum Jenseits knüpft. Das freilich tut sie gut, lassen doch die historischen Fotos der Gebäude, die Geschichten und Porträts ein widerspruchsvolles Bild der Straße auferstehen, dem wenig an Romantik oder gar Verklärung gelegen ist.

Von viel Machtpolitik und Terror und von wenig Demokratie wird auf den 23 Foto-Text-Tafeln – die aufgereiht vom Pariser Platz bis zum Treuhandgebäude stehen – erzählt. Die Wilhelmstraße, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von Ministerien und anderen zentralen Behörden regelrecht besetzt und genutzt wurde, war kaum „Umschlagplatz“ für eine demokratische Politik (Nachama). Vielmehr residierten in den Palais eher herrische Junker und Militärs, deren Erben die feingliedrigen Grundstücke und klassizistischen Gebäude durch immer grobschlächtigere ersetzten.

So wandelte sich das Palais des Prinzen Karl zum Amt des preußischen Ministerpräsidenten, die Reichskanzlei in der Wilhelmstraße Nummer 77 und 78 zur Neuen Reichskanzlei Hitlers an der Ecke zur Voßstraße, das Kriegsministerium in Görings Luftfahrtkoloß und das Presseamt im barocken Palais am Wilhelmplatz zu Goebbels' Propagandaministerium. Sinnlich erfahrbar wird die Geschichte nur noch am Luftfahrt-Treuhandbau oder auf dem Gelände der „Topographie des Terrors“, auf dem das Palais Prinz Albrecht stand: ab 1933 Zentrale der Gestapo und SS-Folterkeller bis 1945.

Machtzentrum und Regierungsviertel wird die Wilhelmstraße, die im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs versank und von Ost- Berlin bis 1985 wegen der „Mauerrandlage“ vernachlässigt wurde, auch in Zukunft nicht mehr werden. Es gebe „kein Anknüpfen mehr, weil 40 Jahre dazwischenliegen“, so Wilderotter. Die Wilhelmstraße sei „normale Wohn- und Stadtstraße“ geworden.

Dennoch, ein wenig Hoffnung bleibt für die Nostalgiker „hoher Politik“: Am Brandenburger Tor ziehen Bundesbehörden in das Gebäude Wilhelmstraße Ecke Unter den Linden. Der Finanzminister übersiedelt ins Treuhandhaus. Die Botschaften der Republik Tschechien, von Portugal und England liegen an der Geschichtsmeile. Knapp daneben, am Pariser Platz, folgen die Missionen der USA und Frankreichs. Das ist doch schon was.

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