: Der Kampf zweier Systeme
Der USC Münster besiegelt mit dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft seine Alleinherrschaft im deutschen Frauen-Volleyball ■ Aus Berlin Nina Klöckner
Genießen ist etwas sehr Persönliches, und so tut es ein jeder gerne auf seine Weise. Im Inneren der Turnhalle lagen sich Spielerinnen und Fans des USC Münster trunken vor Glück in den Armen und drückten sich, gleichermaßen von Schweiß und Champagner durchtränkt, heftig aneinander, um den Gefühlen ob der soeben errungenen Deutschen Volleyball-Meisterschaft Herr zu werden. Doch einer hatte sich nach dem finalen Siegesjauchzer blitzartig und unbemerkt durch den Hinterausgang davongeschlichen, um die ersten Augenblicke des Triumphes auf seine Weise zu erleben. Einsam saß Axel Büring, seit zwei Jahren Vorturner der Münsteraner Volleyballerinnen, auf der Betontreppe hinter der Halle und konzentrierte sich voll auf den Rauch seiner Zigarette.
Dabei hätte Axel Büring allen Grund gehabt, sich kollektiv hochleben zu lassen. Vor wenigen Minuten hatte das von ihm betreute Team zum dritten Mal in Folge (3:1, 3:0, 3:2) die Volleyballerinnen des CJD Berlin niedergerungen und damit nach dem Europäischen Pokal und dem Deutschen Pokal zum Abschluß der Saison auch noch die Deutsche Meisterschaft nach Münster geholt. Natürlich sei er glücklich, bekannte Büring öffentlich, doch wozu groß „den Hampelmann machen.“ Er ist eben ein ruhiger, bescheidener Zeitgenosse. Und so leise, wie der erst 28jährige in die Bundesliga eingestiegen ist, genauso unbemerkt hat er sich an deren Spitze durchgemogelt. Für große Worte haben sie in Münster sowieso andere. Den Vereinsvorsitzenden Reinhard Horstmann beispielsweise, der nicht nur als großzügiger Mäzen fungiert, sondern die Interessen seines Vereins notfalls auch lautstark bis in die höchsten Etagen des Deutschen Volleyball Verbandes (DVV) trägt. In den letzten Jahren hat sich Münster dank Horstmann zu einem finanzstarken Verein gemausert, der in Deutschland seinesgleichen sucht. Schön für alle, die dort untergekommen sind. Frustrierend für den Rest der Liga und für deren Attraktivität nicht gerade förderlich.
So kam es in Berlin nicht nur zum Vergleich der beiden besten Erstligisten, sondern auch zum Kampf zweier Systeme. Sobald man die Halle betrat, wurde einem der Unterschied vor Augen geführt. Da tummelten sich auf der einen Seite die etwa 400 mitgereisten Anhänger des USC Münster, fast durchgängig in grün-weißes Tuch gehüllt, auf dem Rücken den Namen ihrer Lieblingsathletin. Vom Busfahrer bis zum Präsidenten waren die Backen mit grün- weißen Fähnchen geschmückt, und wenn der gewichtige Mann in der ersten Reihe die Arme in die Luft streckte, wurden die Trommeln heftig bearbeitet und der Chor hob zum kollektiven Anfeuern an. Auf der anderen Seite mühten sich ein paar euphorische Anhänger redlich, beließen es doch meist bei artigem Klatschen.
Auch bei den Spielerinnen gab es rein visuelle Differenzen. Die sechs Berlinerinnen pritschten und baggerten in traditionellen Frotteehosen, während die Münsteranerinnen von der Firma mit den drei Streifen mit sogenannten „hot-pants“ ausgestattet waren, die man im Sommer zuhauf am Gebein der Techno-Generation zu sehen bekommt. Der USC geht eben mit der Zeit, seit neuestem gibt es in Münster sogar einen Fan- Shop, in dem sich die Anhänger mit den nötigen Devotionalien versorgen können. Doch das System funktioniert nur, wenn das nötige Potential vorhanden ist. Volleyball läuft in Münster außer Konkurrenz, in Berlin stapeln sich die Bundesligisten, buhlen um die wenigen Zuschauer und Zuwendungen der Stadt. Ein Fan-Shop wäre da wohl ziemlich lächerlich.
Am geringsten war der Unterschied auf sportlicher Ebene. Büring zog im Anschluß „den Hut vor den Gegnerinnen“, Bundestrainer Siegfried Köhler attestierte denselben „eine große kämpferische Leistung“, und CJD-Trainer Volker Spiegel zeigte sich erstaunt, „daß meine Mannschaft noch soviel Moral aufbrachte“. Doch auch hier wird sich in Zukunft einiges ändern. In Berlin verabschiedete man die besten Spielerinnen vor dem Finale in den Ruhestand, und ohne die nötigen Mittel wird es schwer werden, das angegliederte Internat vor dem Ausverkauf zu bewahren. In Feuerbach und Tübingen fliegt die weiße Kugel ab nächster Saison gar nicht mehr, beide Teams mußten vor den finanziellen Unwägbarkeiten kapitulieren. Münster verliert nur Maike Friedrichsen an Sand und Sonne, der Rest bleibt dem Verein treu. Eine noch einseitigere Liga prophezeit Bundestrainer Köhler deswegen für die nächste Saison. „Denn in Münster sitzt eben das Geld. Und da wollen alle hin.“
Büring will vom „Ausverkauf der Liga“ nichts hören. Und während sich sein Starensemble noch immer in den Sektfontänen der Fans suhlt, spricht er in den Katakomben der Halle von zukünftigen Taten. Man werde sich nach dem Berliner Vorbild verstärkt der Jugendarbeit widmen. Schwer zu glauben. Drei Tage vor dem Finale hat Münster eine 18jährige Berliner Zuspielerin verpflichtet. Diesen Coup genießt Büring wohl lieber alleine bei einer Zigarette.
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