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Betrifft: Holocaust-Denkmal

■ Mehr als Vorurteile: Zornige Wiener Bürger wehren sich

Sie streiten nicht um Kultur. Sie streiten um Demokratie und um Populismus. Und gleichzeitig um ein Holocaust- Denkmal. Diese Vermischung macht die Sache so kompliziert und die Stimmung so bitter.

Simon Wiesenthal ist sichtlich verstört. Enttäuscht und ein wenig verlassen wirkt er in seinem Stuhl, dem einzigen in dem großen Raum der Wiener Kunsthalle, im zweiten Hof des alten Messepalastes. Hier sind die Wettbewerbsentwürfe zum neuen Holocaust-Denkmal für Wien ausgestellt. Wiesenthal sitzt allein inmitten der etwa hundert aufgebrachten Bürger. Sie stehen im Kreis um den berühmten Mann herum, ein kleiner Sicherheitsabstand. Furchtsamer Respekt vor einer Institution des Gewissens.

Hans Hollein ist auch gekommen. Er war Vorsitzender der Jury, die den Entwurf von Rachel Whiteread für das Holocaust- Denkmal auf dem Judenplatz ausgewählt hat. „Down side up and inside out“ – Titel eines zehn mal sieben Meter großen, geschlossenen Betonquaders: Eine Bibliothek mit nach innen gekehrten Buchrücken. Bücher als Symbol für das Judentum, sagt Simon Wiesenthal. Ein Mahnmal für die 65.000 in Österreich ermordeten Juden. „Früher gab es kein Haus auf dem Judenplatz, in dem nicht Juden gewohnt haben“, erklärt Wiesenthal, „heute wohnt hier keiner mehr. Schon 1421 wurden hier Juden ermordet. Deshalb muß das Denkmal hierher.“ Damals hatte man die Synagoge zerstört. Heute graben Archäologen nach den Resten (taz vom 16.04.).

Der Judenplatz: Im Stadtzentrum, drumherum enge Gassen, Kneipen, Lokale, Tische zum Draußensitzen, beste Wohn- und Geschäftslage. Ein Lessingdenkmal steht drauf, zwei Volksschulen liegen am Platz. Hauptsächlich Schuleltern und Geschäftsleute sind zur Bürgerversammlung gekommen. Die FPÖ-Fraktion im Bezirksparlament hatte sie beantragt, die Grünen waren auch dafür, die Sozialdemokraten waren dagegen gewesen. Nur zwei Journalisten sind hier. Eingeladen waren sie nicht.

„Wir übernehmen die Verantwortung für unsere Entscheidung als gewählte Volksvertreter“, sagt Hannes Swoboda, früher Planungsstadtrat, heute Spitzenkandidat der SPÖ für die Europawahl. Die Leute horchen auf. Erst jetzt wird ihnen klar, daß schon alles entschieden ist: Das Denkmal wird gebaut, bestätigt der Stadtrat. „Warum sind wir dann überhaupt da?“ fragt einer. „Wir dachten, dann könnten Sie mal richtig Dampf ablassen“, antwortet ganz unschuldig eine Gemeinderätin. Der Bezirksbürgermeister nickt verkrampft lächelnd. 800 Unterschriften hat ein Geschäftsmann schon gegen das Denkmal gesammelt, in nur zehn Tagen. Politisch droht die Sache außer Kontrolle zu geraten.

Eigentlich wollte die SPÖ zusammen mit Wiesenthal den Grundstein für das Mahnmal prestigewirksam vor den Wahlen im Oktober legen. Jetzt wird die Sache zum Stolperstein. Und es scheint, nicht ohne politisches Verschulden. „Wir haben die Bürger möglichst wenig über das Vorhaben informiert“, sagt ein Bezirksvertreter im Vieraugengespräch, „sonst hätten wir das nie bauen können. Die Leute blockieren ja sogar Tiefgaragen in ihrer Nachbarschaft.“ Deshalb will man die Bauordnung ändern. Doch dieses Vorgehen rächt sich jetzt. Was hilft es noch, wenn Hans Hollein verkündet, Fachleute hätten stellvertretend für die Bürger entschieden: „Das war ein vorbildlicher Wettbewerb, haben die internationalen Zeitungen geschrieben.“

„Wir wollen nicht über Kultur diskutieren, wir wollen über unsere Sicherheit diskutieren.“ Das sagt eine Frau im dezenten Seidenkostüm. Alle klatschen. Sie haben Angst vor Anschlägen, sagen viele. Was ist mit unseren Kindern in der Schule. Was kostet die Dauerbewachung, der Ärger mit einer jahrelangen Baustelle. Umsatzeinbußen für die Sommerlokale. Die Wirtschaftsförderung soll helfen. Kann das wuchtige Denkmal nicht woanders hin, auf einen größeren Platz, fragt einer. Doch Wiesenthal hat sich für den Judenplatz entschieden. Es wird dabei bleiben. Nachgeben will man bei der Stadt jetzt erst recht nicht mehr. Die Stimmung könnte nicht gereizter sein. Nach und nach flüchtet der Stadtrat, Simon Wiesenthal folgt ihm gebeugt. Ein Gemeinderat ruft: „Vielleicht sind Sie ja alle nur gegen das Denkmal, weil es für Juden ist.“ Doch da schreien die Bürger alle auf, so laut und entschieden, daß auch die Lokalpolitiker aufhorchen. Hier geht es um mehr als um Vorurteile. — Nun will der Initiator der Unterschriftenliste gegen das Denkmal baurechtlich klagen. Daniel Asche

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