: Die Absetzung des Wachtelkönigs
■ Bezirksversammlung Harburg beschloß Wohn-Ghetto in Neugraben-Fischbek Von Heike Haarhoff
„Läuft doch alles bestens in Neugraben-Fischbek“, atmet Bernd Meyer, Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde (Steb), merklich auf: Mit ganz knapper SPD-Mehrheit (20 : 18) segnete die Bezirksversammlung Harburg am Dienstag abend die umstrittene Großwohnsiedlung für 10.000 Menschen auf der grünen Wiese nördlich der S-Bahn-Station Neugraben wunschgemäß ab. Umweltklagen und stadtplanerischen Bedenken zum Trotz rechnet die Steb fest damit, noch in diesem Jahr mit dem ersten Bauabschnitt beginnen zu können.
Zum Ärger von Naturschützern und Kritikern des fragwürdigen Stadtplanungskonzepts ist der Beschluß ausgerechnet dem Fernbleiben der beiden Abgeordneten Angelika und Martin Geidel von der Unabhängigen Fraktion Harburg (UFH, ehemals Republikaner) bei der Abstimmung zu verdanken: Die 20 SPD-Abgeordneten stimmten geschlossen für den Entwurf Neugraben-Fischbek 15. GAL, CDU, UFH und Ex-GALier Manfred Schubert mit ihren ebenfalls 20 Stimmen hätten aber eine Patt-Situation herbeiführen, den Plan auf Bezirksebene verhindern und den Senat aufgrund der fehlenden einfachen Mehrheit zur Evokation nötigen können. Jetzt wird der Senat voraussichtlich den B-Plan absegnen, und anschließend wird ihn die Bürgerschaft als Gesetz beschließen. Dafür reicht eine einfache Mehrheit.
Der offizielle Schlagabtausch am Dienstag abend verlief kurz und bündig: Zu oft hatten die Parteien im Vorfeld ihre altbekannten Argumente in dem Interessen-Konflikt um Wohnungsbedarf, Naturschutz und Stadtplanungsansprüche wiedergekäut. SPD-Fraktionschef Manfred Hoffmann wies erwartungsgemäß noch einmal auf die fragwürdige Notwendigkeit des aus dem Boden gestampften Riesen-Stadtteils hin; dann wurde das Wohn-Ghetto beschlossen.
GAL und CDU würden das derzeitige Lieblingsprojekt von Stadt-entwicklungssenator Thomas Mirow (SPD) wegen mangelnder sozialer Infrastruktur und der Zerstörung wertvoller Biotop- und Erholungsflächen gern auf die Hälfte, also rund 1500 Wohnungen reduzieren. Die Sünden der 60er Jahre, spielte GALierin Heike Sudmann auf fatale Großwohnsiedlungen wie Kirchdorf-Süd an, dürften nicht wiederholt werden. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) geht noch weiter: In Brüssel legte er Beschwerde gegen das Großprojekt ein. Denn in dem Moorgebiet, so Nabu-Artenschutzreferent Uwe Westphal, hat der europaweit vom Aussterben bedrohte und durch eine EU-Richtlinie geschützte Wachtelkönig sein Revier.
Bis Ende Juni will die Steb durch ein Gutachten klären, ob die geplante Bebauung tatsächlich gegen diese Richtlinie verstößt: „Falls dies der Fall sein sollte, müssen wir Brüssel um eine Stellungnahme bitten, ob der Naturschutz oder die Wohnungen wichtiger sind“, so Meyer. Für den Nabu geht es aber um viel mehr: 43 weitere Tier- und Pflanzenarten seien beeinträchtigt.
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