: Rachsüchtige Göttin oder gehorsame Mutter
Die wenigen Frauen, die im indischen Wahlkampf antreten, inszenieren sich gern als mythische Göttinnen: Entweder Kali oder Sita ■ Aus Neu Delhi Bernard Imhasly
„Men at work!“ warnen die Schilder auf Straßenbaustellen. Dahinter buddeln Frauen mit bloßen Händen die ausgehobene Erde auf flache Behälter und tragen sie auf ihren Köpfen weg. Die Kinder spielen unbeaufsichtigt auf den Kieshügeln, und die Männer betätigen die Maschinen und Geräte.
Auch in der Politik bleiben die Schalthebel weitgehend in männlichen Händen – obwohl im ganzen Subkontinent Frauen staatliche Spitzenpositionen errungen haben. Indira Gandhi, Benazir Bhutto und Chandrika Kumaratunga haben das internationale Image der Region geprägt. Es suggeriert die Emanzipation der Frauen aus der patriarchalen Kontrolle dieser konservativen Gesellschaften, ein Bild, das die männlichen Politiker gern weitergeben, um ihre Parteien anzupreisen. Auch im Wahlkampf für das neue indische Parlament bemühen sich die Parteien, die Frauen des Landes für sich einzunehmen. Alle Manifeste fordern eine stärkere Beteiligung der Frau in der Politik. Indira Gandhis Sieg war für Frauen eine Niederlage
„Wir werden, sobald wir an der Macht sind, dafür sorgen, daß ein Drittel aller politischen Ämter für Frauen reserviert wird“ gelobte A. B. Vajpayee, Spitzenkandidat der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) letzte Woche. Als ihn eine Zuhörerin daran erinnerte, daß unter den BJP-Kandidaten nicht einmal ein Hundertstel Frauen sind, mußte Vajpayee Farbe bekennen: „Ich gebe zu, daß es sehr schwierig ist, Frauen zu finden, die auch Wahlen gewinnen. Und darum geht es schließlich im Wahlkampf.“ Die Statistik sagt: Im alten Parlament befanden sich nur 39 weibliche Abgeordnete (von 543), und der Frauenanteil hat acht Prozent nie überschritten.
Auch in Indien wird Politik als männliches Reservat gehandelt, und die Härte, Aggressivität, der Kult der Gewalt und der Waffen sind ein Grund für Frauen, von einer politischen Karriere abzusehen, meint Sushma Swaraj, die BJP-Kandidatin für Süd-Delhi. Jene, die es dennoch tun, benutzen meist einen Mann als Sprungbrett: Indira Gandhi, die Tochter Nehrus, Benazir, die Tochter Zulfikar Bhuttos, Khaleda Zia in Bangladesch, die Witwe des früheren Präsidenten. Im Bundesstaat Andhra Pradesh reitet Lakshmi Parvathi auf einer nekrophilen Sympathiewelle für ihren kürzlich verstorbenen Ehemann Rama Rao. Und in Tamil Nadu hat Chefministerin Jayalalitha den Fetisch in Gestalt ihres verstorbenen Liebhabers und Amtsvorgängers in einen Mutterkult umgebogen. Die Rituale und Blutbündnisse erinnern an nordkoreanische Exzesse.
Feministinnen sehen den Erfolg dieser Frauen in der Übernahme männlicher Rollenmodelle. „Indira Gandhis Sieg vor dreißig Jahren“ sagt Jug Suraya, „war eine verdeckte Niederlage. Denn um die Politik ihrer Gegner zu brechen, wurde Macht für sie das alleinbestimmende Leitbild.“ Die Abgeordnete Mamata Banerjee oder die kastenlose Mayawati treten auf, so die Times of India, „als besäßen sie mehr Testosteron als ihre männlichen Gegner“.
Die Emanzipation kommt durch diese Frauen kaum voran. Die Zahl weiblicher Parlamentsabgeordneter ging nach dem Regierungsantritt Indiras zurück, und sowohl in Pakistan als auch in Indien hat sich die soziale Benachteiligung der Frauen kaum verändert. Noch 1991 konnten nur 39 Prozent der indischen Frauen schreiben und lesen, gegenüber 64 Prozent der Männer. Die kämpferische Abgeordnete Renuka Chowdhury klagt denn auch ihre Geschlechtsgenossinnen an, die männlichen Rollenbilder für die eigene Karriere zu übernehmen. „All diese großen Leitfiguren tun nichts, wenn es darum geht, an der Basis weibliche Führungsqualitäten zu fördern. Es sind Männer, die die Auswahl treffen. Müssen wir uns da wundern, wenn nur Ehefrauen, Witwen, Freundinnen oder Filmstars ein – Ticket bekommen?“
Auch die Journalistin Kalpana Sharma meint, daß Frauen mit politischen Ambitionen die patriarchalen Projektionen in Gestalt mythischer Göttinnen übernehmen. „Sie sind entweder Sita oder Kali“, die gehorsame Mutter und Ernährerin oder die rachsüchtige, machthungrige Göttin. Die BJP fördert den Sita-Typ, Sushma Swaraj zum Beispiel, die ihre professionellen Qualitäten hinter pausbäckiger Mütterlichkeit verbirgt. Eine junge Partei wie die sozialistische „Samajwadi Partei“, die aggressiv auf eine Machtübernahme durch die unteren Kasten hinarbeitet, projiziert die Kali-Figur auf Phoolan Devi, die Banditenkönigin, als Stereotyp der zähnefletschenden, unberechenbaren Aggressivität der Frau.
Es gibt aber auch Zeichen positiver Veränderung. 1992 hat das Parlament eine Verfassungsänderung verabschiedet, welche den traditionellen Institutionen der Dorfdemokratie erstmals weitgehende politische Autonomie gab. Eine der Bedingungen ist, daß jeder „Panchayat“ (Dorfrat) mindestens dreißig Prozent Frauen haben muß. Im südlichen Bundesstaat Karnataka sitzen bereits 35.000 Frauen in den verschiedenen Ebenen der Lokalverwaltung, weit mehr als das vorgeschriebene Drittel. Es zeigt, daß Frauen bereit sind, Führung zu übernehmen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. In einem Dorf im Erdbebengebiet von Latur wurde kürzlich eine Frau zur „Sarpanch“, der Dorfältesten des neuerbauten Dorfs, gewählt.
Weibliche Dorfälteste klingt wie männliche Kuh
Bei der Übergabefeier stand ihr männlicher Vorgänger nahe beim Mikrofon, und sie saß bei den Frauen auf dem Boden. Aber als sie sich erhob, um den Gästen Girlanden umzulegen, begannen die Frauen spontan zu klatschen. „Es ist schwierig, die Frauen aus ihrem strikt begrenzten Rollenschema zu locken“, meinte der Vertreter einer Hilfsorganisation. „Weibliche Dorfälteste – das klingt so widersprüchlich, als sagten Sie männliche Kuh“. Aber wenn nur Sita und Kali als Vorbilder da sind, bleibt keine Alternative, als neue Symbole zu schaffen.
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