: Plaudertaschen, nicht ganz echt
■ Die ersten Bremer „Internet-Cafés“ eröffnen: Nett Kaffeetrinken und in virtuellen Schraubenkisten wühlen
Machen Sie den Test: Raunen Sie Ihrem nächstbesten Gesprächspartner das Stichwort „Internet-Café“ zu. Ergebnis: Er wird 1.) die Augenbrauen hochziehen (= ja, genau, kenn' ich, weiß ich Bescheid drüber), 2.) fordern, sowas müsse es „endlich“ auch in Bremen geben und 3.) keine Ahnung haben, wozu das Ganze eigentlich gut sein soll. Jeder Zehnte wird abschließend die Absicht bekunden, demnächst „sowieso“ selbst ein Internet-Café eröffnen zu wollen. Anders ist jedenfalls kaum zu erklären, daß zur Zeit fünf Initiativen zur Gründung des ersten (!) Bremer Internet-Cafés miteinander wetteifern. Das Medienzentrum Walle hat, wie es sich für ein Medienzentrum gehört, die Nase vorn: Ab 14 Uhr darf dort ab sofort und täglich Kaffee getrunken und gleichzeitig am Computer herumgefummelt werden.
Während im Viertel noch mit der Lizenz für ein entsprechendes Café gehadert wird, in der Neustadt gerade die Strippen gezogen werden, lassen die Waller ihre Kisten schon seit drei Wochen probelaufen. Um Einsteigern zu helfen, um Interessierten einen Einblick in die ominöse Internet-Computerwelt zu geben – so begründet Mitarbeiter Klaus Heitkötter die Verkabelung des hauseigenes Cafés. „Wäre schön, wenn da auch mal die Waller Bevölkerung reinschaut.“ Seine jüngeren Kollegen vom Nullsat-Studio denken auch an anderes Publikum. Vielleicht, hofft Robert Meyer, der hin und wieder als „Netscout“ die ersten Pfade in den Datendschungel ebnet, vielleicht dient das Café ja auch „den Leuten, die sonst nur allein zu Hause vor ihrem PC hocken“. Und die im Café mal wieder unter Menschen kämen – reale, nicht bloß virtuelle.
Genau diese Mischung macht für Robert den Reiz des Internet-Cafés aus. „Du kannst hier am Tisch sitzen, mit Deinen Kumpels labern und gleichzeitig mit Leuten im Internet-Café in Barcelona chatten.“ Lebendige Kaffeetrinker und virtuelle, wahres und künstliches Leben – nur der Milchkaffee, der ist (wahrscheinlich) ganz echt hier.
Was also tun, wenn der Kaffee bestellt, die Surfgebühr (zehn Mark pro Stunde) abgedrückt ist? Eintauchen und Wissen sammeln. Der Netscout sagt noch kurz, wo's lang geht, daß man am besten über die Suchserver einsteigt, die Gelben Seiten des Internet – „nach fünf Minuten kann man die Leute meistens alleine lassen“, sagt Robert. Und was die dann so alles wissen wollen. Surflehrer Gunnar Langmark, der vier Tage lang eine Internet-Aktion im Schlachthof auf die Beine stellte, mußte speziellstes Spezialwissen aus dem Netz fischen: Wo findet man z.B. exakte Informationen über die Industrienormen für amerikanische Schrauben? Wie kann ich Madonna eine E-Mail schicken? Und Bruce Springsteen? Und die „Radikal“ – gibt's die nicht auch irgendwo im Netz zu lesen? Eine harte Nuß für Langmark, aber dem Gast konnte geholfen werden.
Dann gibt es jene Kunden, die sich selbst im Internet verewigen wollen. Mit einer privaten Homepage oder mit einer Werbeanzeige. Diesen Service will das Internet-Café bieten, das am 3. Mai in der Neustadt seine Rechner und Kaffeemaschinen anwerfen will. 15 Firmen hätten schon Interesse angemeldet, sagt Cafébetreiber Marc Dörre. In drei bis vier Monaten muß sich der Laden rechnen: Zehn Computerkisten hat Dörre angeschafft, Sponsoren gebe es für den neuen Markt keine. Allein von den verkauften Pizzas, Bieren (keine harten Getränke beim Surfen!) und der Benutzergebühr ist das Unternehmen kaum zu bezahlen.
Daß sich die Idee eines „Internet-Cafés“ überhaupt je auszahlen kann, daran haben andere Netzspezialisten ihre Zweifel. Einen „offenen, unbegrenzten Zugang zum Internet für Privatpersonen“, d.h. ohne Surfgebühr – so wünscht sich z.B. der frischgebackene Verein „Brainlift“ sein Café, irgendwo im Steintor. Finanzieren müsse sich das Ganze über andere Einnahmequellen.
Wie das wirklich funktionieren soll – darüber müssen sich die Brainlifter und ihre Konkurrenten nun rasch Gedanken machen. Denn mit dem derzeitigen Rummel um die „Internet-Cafés“ könnte es bald auch schon wieder vorbei sein, ahnt Gunnar Langmark als Surflehrer der ersten Stunde. „Das ist mehr eine Spielerei für die breite Masse“ – die wirklich Interessierten besorgten sich sowieso ihren eigenen Anschluß ans Netz. Seine persönlichen Kontakte pflegt Langmark jetzt schon außerhalb der virtuellen Cafés: „Da treff–ich mich doch lieber in der Kneipe“ – ganz ohne Rechner, Bildschirm und Scout. tw
Gunnar Langmark als Surflehrer der ersten Stunde. „Das ist mehr eine Spielerei für die breite Masse“ – die wirklich Interessierten besorgten sich sowieso ihren eigenen Anschluß ans Netz. Seine persönlichen Kontakte pflegt Langmark jetzt schon außerhalb der virtuellen Cafés: „Da treff–ich mich doch lieber in der Kneipe“ – ganz ohne Rechner, Bildschirm und Scout. tw
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen