: „Jugendweihe ist keine Ostalgie-Party“
■ Das „Konfirmationsfest“ für Konfessionslose wird auch im Westteil der Stadt immer beliebter. Vor rund hundert Jahren feierten erstmals 37 Jugendliche das freigeistige Fest
Die einen gehen zur „Feier“ und feiern danach, die anderen nennen es „Weihe“ und feiern dann ebenfalls. Doch ob die aus dem Westteil der Stadt stammenden Freidenker den Rahmen für die Erwachsen-werden-Party liefern oder ob dies die „Interessenvereinigung Jugendweihe“ leistet, ist für die teilnehmenden Jugendlichen mittlerweile ohne Bedeutung. Die Freidenker haben sich in Abgrenzung zu den kurz vor Ultimo gegründeten DDR-Freidenkern jetzt „Humanistischer Verband“ (HVD) genannt, die Interessenvereinigung ist die strukturell besser entwickelte Nachfolgerin des Zentralen Jugendweiheausschusses der DDR.
Geworben haben beide Anbieter vielerorts, und über zehntausend nicht konfessionell gebundene Mädchen und Jungen, einige hundert mehr als im Vorjahr, werden sich bis Ende Mai vom Kindsein verabschieden lassen. Sowohl der Humanistische Verband als auch die Interessenvereinigung sind sich einig: Eine Erfindung und ein Relikt der DDR war beziehungsweise ist die Jugendweihe nicht.
„Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts“, so die Interessenvereinigung, „suchten freireligiöse Gemeinden und freidenkerische Verbände nach Alternativen zum starren offiziellen Religionsunterricht und damit verbundenen festlichen Schulabschlußfeiern“. Eduard Baltzer, ein Thüringer aus Nordhausen, prägte 1852 erstmals den Begriff Jugendweihe. 1889/90 wurde das „Konfirmationsfest“ freireligiöser Gemeinden innerhalb der Arbeiterbewegung umgedeutet. Die Feier wurde Ausdruck für die „Aufnahme der jungen Menschen in die große Gemeinschaft der sozialistischen Arbeiterbewegung“. In Berlin fand die erste große Veranstaltung für 37 Jugendliche und 1.500 Besucher am 14. April 1889 im Konzerthaus in der Leipziger Straße statt.
Mit der Nazidiktatur kam auch für die Jugendweihen das Verbot. Der Versuch, sie nach dem Sieg über den Faschismus als humanistische Tradition in allen Besatzungszonen Deutschlands wiederzubeleben, verkam später in der DDR zu einem Ritual mit Treuegelübde auf Staat und Sozialistische Einheitspartei. Was die gute Laune der „Jugendweihlinge“ allerdings selten schmälerte. Entscheidend waren die Party danach, Geschenke oder auch eine Reise, mit der die Erwachsenenwelt sie begrüßte.
Freigeistige Organisationen waren es, die auch in West-Berlin und der alten Bundesrepublik Feiern veranstalteten, die anders als in der DDR an die „Traditionen der europäischen Aufklärung, des Liberalismus und der deutschen Arbeiterbewegung anknüpften“, so Gabi Braemer vom HVD in einem Zeitungsinterview. „Die Zahl der Teilnehmer war jedoch eher unbedeutend“, ergänzt Norbert Kunz, Pressesprecher des Verbandes. Die Angebote der beiden großen Kirchen besaßen in einer von christlichen Werten dominierten Gesellschaft eine größere Akzeptanz. Wer nicht zur Konfirmation ging, galt als Exot. „Erst seit der Wende kommen zunehmend mehr nicht konfessionsgebundene Jugendliche aus dem Westteil der Stadt zu uns. Ihr Anteil liegt inzwischen bei fast zehn Prozent“, so Kunz.
Dennoch werden sowohl Jugendfeier als auch Jugendweihe vor allem in die Ostalgie-Ecke gestellt. Nur wenige Politiker, zum Beispiel der einstige Jugendsenator und jetzige Bundestagsabgeordnete Thomas Krüger (SPD), äußern sich sachlich und vorurteilsfrei. Der Sektenbeauftragte der Berlin-Brandenburgischen Kirche, Thomas Gandow, kritisierte, die Angebote im Vorfeld seien inhaltlich zu dünn und würden keine wirkliche Begleitung der Jugendlichen darstellen. Jugendstunden seien nicht verbindlich, wer an der Jugendweihe teilnehmen wolle, könne sich auch kurzfristig anmelden. Gegenüber der Konfirmation, die zwei Jahre festen Unterricht in einer Gruppe voraussetze, sei dss Jugendweiheprogramm ein „Wasserkopf ohne Beine“, so Gandow.
Doch gerade die Pflicht, an Veranstaltungen teilzunehmen, ist aus der Sicht vieler Jugendfeier- bzw. Jugendweiheteilnehmer heute ein Dogma aus vergangenen DDR- Tagen. Dort mußten die 13- und 14jährigen zehn thematische Jugendstunden absolvieren, um sozialistisch „geweiht“ zu werden. Jetzt suchen Jungen und Mädchen lieber aus, mit welchen Kursen, Diskussionsrunden oder Workcamps sie sich für einen Kostenbeitrag von 100 Mark beim Humanistischen Verband vom Spätherbst an auf ihre Feier vorbereiten. Kathi Seefeld
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