: Das Medium ist nicht die Botschaft
Kommt die Cyberdemokratie? Wird aus den vielen Medien ein einziges? Wie wird die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine aussehen? Drei neue Bücher über Digitalisierung ■ Von Gustav Roßler
Das Informationszeitalter bricht an, die Infobahnen sind im Bau, und da wir alle nicht genau wissen, was auf uns zukommt, ist ein Boom für Bücher angebrochen, die uns mit Informationen über die Informationsgesellschaft versorgen. Jeder will wissen, wohin der Zug geht, oder er hat Angst, den Anschluß zu verpassen.
Da kommt ein „Kursbuch Neue Medien“ gerade recht. Im Untertitel verspricht es Aufklärung über „Trends in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur“, im Vorwort heißt es bescheidener: „Kursbücher geben Verbindungen an, zeigen aber nicht, wo es lang geht.“ Es sind hier Artikel aus den verschiedensten Bereichen versammelt, manche mehr beschreibend (welche Online-Dienste gibt es, Werbung im Internet etc.), manche programmatisch, wie z.B. der von Howard S. Rheingold, dem Vorreiter für virtuelle Gemeinschaften und Cyberdemokratie.
Der Anschluß des PC an Kommunikationsnetze hat ja etwas erreicht, was von seinen Erfindern nicht vorgesehen und von linken Medientheoretikern (von Brecht bis Enzensberger) immer gefordert worden war: daß das Empfangsgerät gleichzeitig auch als Sendegerät dienen kann. Wobei man jetzt sieht, daß allein mit der technischen Realisierung der einstmals utopisch erscheinenden Forderung noch gar nicht soviel gewonnen ist. Es kommt nun darauf an, was man damit macht.
Rheingold sieht darin die Möglichkeit, neue Foren politischer Diskussion, Willensbildung und Einflußnahme zu schaffen. „Die Massenmedien, die Einer-an-viele-Medien, vor allem das Fernsehen, veränderten den Diskursmodus zwischen den Bürgern auf eine Art und Weise, die der Demokratie nicht förderlich war. Die Öffentlichkeit wurde zu einer Ware, die man kaufen und verkaufen konnte.“ Dagegen versprechen die neuen Kommunikationsmedien, die Viele-an-viele-Medien, die Wiederbelebung der Öffentlichkeit. Allerdings nur, solange sie „für die gesamte Bevölkerung zugänglich sind, solange sie erschwinglich, leicht zu handhaben und als Forum für freie Meinungsäußerung gesetzlich geschützt sind“.
Wie man an den letzten Einschränkungen sieht, ist es so einfach nicht, und auch Rheingold ist nicht so naiv (wie ihm öfters unterstellt wird) zu glauben, daß mit den technischen Möglichkeiten automatisch eine „Cyberdemokratie“ oder neue Öffentlichkeit entsteht. Eher so: Es ist ein Medium in Arbeit, und wohin es sich entwickelt, hängt davon ab, was man jetzt damit/daraus macht und welche Optionen man ergreift und verstärkt. Auch die „offizielle“ Politik, soweit sie sich bis jetzt mit neuen Medien befaßt, kommt in diesem „Kursbuch“ zu Wort (Glotz, Bangemann). Weiterhin gibt es Erläuterungen von Stichwörtern, wozu so unterschiedliche Begriffe wie Agora, Cyberspace, Information, ATM, ISDN, LOGO und Meme gehören.
Nicholas Negroponte hat in einem Buch seine Kolumnen für Wired, die Zeitschrift für digitale Kultur & Lifestyle, zusammengestellt. Im Original trägt das Buch den Titel „Being digital“, auf deutsch den verfrotzelten „Total digital“. Negroponte gilt als einer der Propheten der neuen Medien, aber im Unterschied zu manch anderen hat er mit vielen seiner Prophezeiungen recht behalten. Man könnte ihn vielleicht auch als Erfinder von „Multimedia“ bezeichnen (bzw. das Media Lab, dessen Leiter er seit einiger Zeit ist und dessen Geschichte im amerikanischen Original im Anhang kurz nachgezeichnet wird), sofern man darunter die Verschmelzung (oder Konvergierung) bislang unterschiedlicher Medien in einem digitalen Multimedium versteht.
Negroponte müht sich redlich- didaktisch, dem Leser den Unterschied einzuhämmern, daß in Zukunft nicht mehr Atome, materielle Packungen versandt, gekauft, produziert werden (Videokassetten, Softwaredisketten, Zeitschriften auf Papier), sondern eben Bits; und diese können eigene Wege gehen, z.B. über Netze. Das hat einige ökonomische, urheberrechtliche und informationsökonomische Konsequenzen. Neben der Digitalisierung werden weitere Tendenzen der künftigen neuen Medien skizziert, so zum Interface, der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine.
Mit der zunehmenden Verkleinerung der Geräte bei immer größerer Rechnerleistung sieht Negroponte in der gesprochenen Sprache das Interface der Zukunft. Auch der technisch nicht so gebildete Leser erfährt hier die verschiedenen Optionen auf dem Gebiet von Datenkompression, digitalem Fernsehen oder Bandbreite, und daß Netze eben nicht gleich Netze sind. Ein Fernsehnetz ist anders aufgebaut als ein Telefonnetz, aber beide können in Zukunft dieselben Daten übertragen, das heißt Bilder übers Telefonnetz und Daten und Sprache übers Kabelnetz. Amerikanische Kabel(fernseh)gesellschaften arbeiten daran, daß ihre Kabel TCP/IP (das Internet- Übertragungsprotokoll) unterstützen können. Interessanterweise soll dabei mehr Datenkapazität Richtung „Benutzer“ oder Konsument laufen als umgekehrt. Wie man sieht, ist damit auf neuer Ebene der alte Konflikt zwischen Distributions- und Kommunikationsapparat wieder da. Im allgemeinen Gerede vom „Multimedialen“ geht ein wenig unter, daß damit der Begriff des Mediums sich tendenziell auflöst. „Das Medium ist nicht länger die Botschaft“, sagt Nicolas Negroponte. Damit trifft er sich mit dem von völlig anderen Voraussetzungen ausgehenden Medienkritiker Friedrich Kittler, der schreibt: „... ein totaler Medienverbund auf Digitalbasis wird den Begriff Medium selbst kassieren.“ An diesem scheinbaren Widerspruch muß sich das Denken wohl noch eine Zeitlang abarbeiten, bis es das, was sich hier verändert, auf den Begriff bringen kann.
Denkanstrengung, nämlich philosophisches Nachdenken über das Leben im Informationszeitalter, verspricht uns das gleichnamige Buch. Der Autor bringt interessante Gedanken und Material bei, aber zeigt keine überzeugenden Perspektiven auf. Das mag daran liegen, daß es sich einerseits in die unselige Postmoderne einzuschreiben versucht; andererseits, daß es den Gegner oder Partner, oder wie auch immer man dieses „Informationszeitaltergesellschaftsdigitalerevolution“-Knäuel bezeichnen soll, pauschalisiert und totalisiert. Fernsehen und Telefon und E-Mail und Internet – alles eins, auch die künstliche Intelligenz fehlt nicht, und nach der Gutenberggalaxis kommt die Golemgalaxis.
Daß der Autor von Heidegger ausgeht, mag einer der Gründe dafür sein: Die Technik wird hier erweitert gedacht als Informationstechnologie. Diese wird zwar teilweise durchaus kenntnisreich beschrieben, charakterisiert, aber letztlich bleibt die Opposition die „multimediale Vernetzung“ einerseits und andererseits „das Leben“. Die Abgründigkeit des Lebens, Muße, Schweigen, sehr viele richtige Gegenargumente, die von den Informationstechnologien nicht eingefangen werden. Aber dennoch ist der Schluß des Buches dürftig: Wieder einmal werden wir vor den Gefahren gewarnt. Man kann nicht ausgehend von Ciceros Briefen eine Ethik und Genealogie der Mitteilung entwickeln, die das ganz andere im Gegensatz zur informationstechnologischen Vernetzung ist. Auch zu Ciceros Zeiten gab es Geschäfte und billige Unterhaltung. Daß die Selbsttechnologien Foucaults angeführt werden, um der „multimedialen Vernetzung“ zu kontern, ist interessant, aber löst den plakativen Gegensatz nicht auf.
Letztlich begeht er einen kategorialen Fehler, der fast allen Medienkritikern eigen ist: Sie messen die Kommunikationstechnologien an einem emphatischen Kommunikationsbegriff, sie beschwören die „echte“ Kommunikation oder wirkliche Mitteilung „von Mensch zu Mensch“. Damit begibt man sich auf die gleiche Argumentationsebene wie jene seltsamen Usergroups, die sich inzwischen in den USA bilden: Leute, die der E-Mail abschwören und sich wieder „wirkliche“ Briefe schreiben, die sie – am besten noch mit dem Fahrrad – zur „wirklichen“ Post bringen. Die Frage ist wohl eher, was sie (sich) zu sagen haben.
„Kursbuch neue Medien“. Hrsg.: Stefan Bollmann Verlag, 365 Seiten, 39,80 DM
Nicholas Negroponte: „Total digital“. Bertelsmann, 288 Seiten, 29,80 DM
Rafael Capurro: „Leben im Informationszeitalter“. Akademie Verlag, 131 Seiten, 58 DM
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